Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
Angeklagten bei der Urteilsverkündung vor. Sonderlich wohl schien er sich jedenfalls nicht zu fühlen.« Mit einem leisen Ächzen ließ er sich in seinem Stuhl zurücksinken. »Als wir den Leichnam abtransportiert haben, habe ich im Vorbeigehen gehört, wie er auf dem Gang mit jemandem gesprochen hat; ich glaube, es war der Leiter des Heimes. Ich konnte nur Bruchstücke verstehen, aber er hat deutlich gesagt, dass er ihm in den nächsten Tagen nicht zur Verfügung stehen würde. Klang ziemlich mitgenommen. Reichlich sensibel für einen Arzt, finden Sie nicht? Wenn Sie mich fragen, hat der etwas zu verbergen.«
»Und weshalb haben Sie sich dann nicht schon früher an uns gewandt?«, fragte Sven.
»Was wäre denn dann passiert? Sie hätten eine Aktennotiz gemacht, die wahrscheinlich im Papierkorb gelandet wäre.«
Damit hatte Gerlach nicht ganz unrecht. Sie konnten unmöglich jedem Verdacht oder Hinweis nachgehen. Dazu fehlte einfach die Zeit. Zumal es sich hier doch ziemlich eindeutig um eine natürliche Todesursache handelte. Zumindest oberflächlich betrachtet.
»Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?«, erkundigte sich Sven.
»Nein, ich sage doch, es war der erste Todesfall dort.« Gerlach lehnte sich zurück. »Aber wenn ich mir Ihre Gesichter so ansehe, hat es den Anschein, als rechnen Sie in nächster Zeit mit weiteren Zwischenfällen dieser Art.«
Am späten Nachmittag hatte der Regen endlich aufgehört. Zögernd übernahm die Sonne wieder das Regiment. Dampfschwaden stiegen von den feuchten Straßen empor und ließen Koblenz wie eine neblige Sumpflandschaft aus Stahl und Beton erscheinen, in der der Großstadtlärm rumorte.
»Na, sieh mal einer an«, staunte Dennis, der über Svens Schulter hinweg auf dessen Computermonitor schaute. »Verheiratet, keine Kinder. Zwei Anzeigen wegen Trunkenheit am Steuer, zweimal Führerscheinentzug. Eine Geldstrafe wegen Steuerbetrug. Nicht gerade ein Unschuldsengel, unser Doktor.«
»Na ja, der letzte Punkt fällt wohl eher unter Selbstverteidigung«, spottete Sven. »Aber er hat sich mehrfach an der Börse verspekuliert«, erläuterte er weiter. »Musste seine Praxis in Koblenz wegen Alkoholproblemen schließen. Ist nur knapp einem Lizenzentzug wegen Trunkenheit im Dienst entgangen und musste eine Therapie machen. Hat das Haus und die Praxis verkauft, um seine Schulden zu bezahlen. Das liegt jetzt etwa fünf Jahre zurück.«
»Dein Gefühl hatte also recht: Hofer scheint ein Faible für verkrachte Existenzen zu haben. Nur schade, dass wir über ihn selbst nichts in den Akten finden können.«
»Ja, aber das hier bringt uns auch nicht weiter. Wenn du mich fragst, ist es wieder eine Spur, die im Nichts endet.«
»Was hältst du davon, wenn wir morgen früh mal bei diesem Doktor Krämer vorbeischauen, um es herauszufinden?«
»Hm, morgen früh … Tja, das wirst du wohl wieder allein erledigen müssen.«
»Warum denn?«, fragte Dennis verwundert.
»Weil ich morgen schon einen Arzttermin habe.«
»Fehlt dir was?«
»Überhaupt nichts«, winkte Sven ab. »Ich bin nur langsam in einem Alter, in dem ich nicht mehr um den jährlichen Check-up herumkomme.«
»Ja, ich weiß, was du meinst«, seufzte Dennis. »Wir kommen langsam in die Jahre, was?«
»Tja, schätze, das wird sich nicht vermeiden lassen.« Er schreckte hoch, als er auf die Uhr sah. »Schon nach sechs. Vor diesen verdammten Dingern verliert man jegliches Zeitgefühl.« Rasch schaltete er den Monitor aus. »Ich will noch ein paar Sachen einkaufen«, meinte er, während der Bildschirm dunkel wurde. »In meinem Kühlschrank herrscht gähnende Leere. Soll ich dich mitnehmen?«
»Nein, ich … hab noch was zu erledigen«, wehrte Dennis ab.
»Und wie kommst du nach Hause?«
»Ich leihe mir einen Dienstwagen aus. Stepanek von der Fahrbereitschaft ist mir ohnehin noch was schuldig.«
»Na schön, wie du meinst. Dann bis morgen.«
Dennis nickte und wartete, bis Sven das Büro verlassen hatte.
Kurz darauf machte er sich ebenfalls auf den Weg. Er hatte noch eine Verabredung, die er auf keinen Fall verpassen wollte.
12
I ch bin wieder da!«, verkündete Sven seiner vereinsamten Wohnung sarkastisch und warf die Schlüssel auf die kleine Kommode neben der Tür. Dann schleppte er die zwei Einkaufstüten in die Küche und deponierte sie auf der Arbeitsplatte neben der mit schmutzigen Tellern überladenen Spüle. Er würde sie später ausräumen. Jetzt sehnte er sich nach ein wenig
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