Sterblich
dreht sich zur Seite, sieht aber schnell ein, dass sie den Aufnäher nicht sehen kann, auf den er zeigt. In einem roten Herz auf weißem Untergrund steht in schwarzen Buchstaben Inhambane .
»Eine Stadt im Süden Mosambiks, an der Inhambane-Bucht. Schöne Strände. Am Tag, als Henriette ermordet wurde, bekam sie eine E-Mail aus einem Internetcafé in Inhambane. Von einem Gratis-Server im Internet wurde ihr dann noch eine SMS geschickt, aus demselben Café, unmittelbar danach. Sie wurde darin aufgefordert, ihre Mails zu checken. Das Ganze passierte, als sie bei Mahmoud Marhoni war.«
»Ja und?«
»Ja und? Dann ist es also ein Zufall, dass ausgerechnet Sie einen Aufnäher auf Ihrem Rucksack haben, auf dem Inhambane steht? Sie sind dort gewesen, Anette. Vermutlich haben Sie dort Freunde. Inhambane steht nicht direkt auf Platz eins der Star-Tours-Liste für beliebte Reiseziele.«
Anette antwortet nicht.
»Das ist das Dumme daran, wenn man zu zweit an einem Verbrechen beteiligt ist«, fährt er fort, »man kann sich nie vollkommen sicher fühlen, dass der andere die Klappe hält. Darum waren Sie wahrscheinlich auch so verunsichert, als ich Sie das erste Mal angesprochen habe. Sie hatten Angst, dass Stefan sich, nein: Sie verraten könnte, dass er es nicht schaffen würde, mit der Tat zu leben, die Sie begangen hatten. Was sich dann ja auch als richtig erwies. Darum haben Sie ihn dazu getrieben, seinem Leben ein Ende zu bereiten.«
Anettes reglose Gesichtszüge lösen sich in einem dünnen Lächeln auf. Ein distanziertes Lächeln. Im nächsten Augenblick wird sie wieder ernst.
»Ich will Ihnen etwas über Henriette sagen«, beginnt sie. » So smart war Henriette nämlich gar nicht. Im Nachhinein haben natürlich alle gesagt, sie wäre ja so talentiert und so tüchtig gewesen.«
Ihre Stimme bekommt plötzlich einen ganz anderen Unterton.
»In Wahrheit war sie extrem durchschnittlich. Ich habe das Drehbuch gelesen, für das sie Geld bekommen hat. Das war wirklich nicht so gut. Control+Alt+Delete? Was für ein bekloppter Titel! Die guten Ideen für das Drehbuch hatte sie von mir . Aber glauben Sie, sie hätte auch nur im Traum daran gedacht, mich an ihrem Film zu beteiligen?«
Sie schnauft.
»Darum wollten Sie also ihre Arbeit fortführen. Sie hatten das Gefühl, ein gewisses Anrecht auf das Drehbuch zu haben, wenigstens auf die guten Ideen darin. Haben Sie sich schon mit Truls Leirvåg in Verbindung gesetzt?«
Anette stößt ein kurzes Lachen aus, dann nickt sie ruhig.
»Wir beide sollten einen Film zusammen machen. Sie und ich. Sie haben eine lebhafte Fantasie. Aber auch Sie sehen nicht alles«, sagt sie und geht ein paar Schritte auf ihn zu. Sie lehnt sich zu ihm vor und flüstert: »Die zwei, die hätten beweisen können, was Sie gerade gesagt haben …«
Diesmal legt Sie eine Kunstpause ein. Die Minusgrade in ihrem Blick treffen ihn wie eine eisige Backpfeife.
»… sind beide tot.«
Sie macht einen Schritt von ihm weg. Und lächelt wieder. Ein kleines, hinterlistiges Lächeln.
»Sollen sie doch Knott in Stefans Zimmer finden!«, fährt sie fort. »Was beweist das schon? Dass jemand, der dort war, Knott mag? Und was, wenn er mich an dem Nachmittag tatsächlich angerufen hat? Ich sollte Regie bei seinem Film führen. Wir haben uns oft unterhalten. Nichts von alldem beweist, dass ich Henriette oder Stefan umgebracht habe. Nichts!«
»Da haben Sie recht«, sagt Henning. »Das ist kein direkter Beweis dafür, dass Sie etwas anderes versucht haben, als den Verdacht auf Mahmoud Marhoni zu lenken, aber …«
»Und was für Beweise wollen Sie dafür haben?«, fällt sie ihm ins Wort. »Einen Aufnäher auf meinem Rucksack?«
»Das an sich ist auch kein überzeugender Beweis, aber wenn man genügend Streichhölzer bündelt und alle auf einmal anzündet, bekommt man eine ziemlich stolze Flamme. Wenn ich alles bündele, was ich herausgefunden habe, und es an Bjarne Brogeland weitergebe, werden er und der Rest der Polizei alles überprüfen, was Sie die letzten paar Jahre gesagt oder getan haben. Sie werden alles in die Mangel nehmen, was sie finden, E-Mails, SMS , Quittungen, Rechnungen, und sie werden versuchen, all das mit einem Mord und einem verdächtigen Todesfall in Verbindung zu bringen. Und wenn der toxikologische Bericht vorliegt und sich herausstellt, dass Stefan Orfiril im Blut hat, wird die Indizienkette so lang sein, dass nur ein Wunder Sie davor bewahren kann, ins Gefängnis zu wandern. Ein Knott
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