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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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Foto. Dann zoomt er auf den Text.
    Ich werde deine Arbeit fortsetzen
    Wir sehen uns in der Ewigkeit
    Anette
    Er lässt die Kamera sinken und hängt sie sich um den Hals. Nachdem er den Text noch einmal gelesen hat, mustert er die Studenten, die um ihn herumstehen.
    Wo bist du, Anette?, fragt er sich. Und was für eine Arbeit willst du fortsetzen?

13
    Bjarne Brogeland zieht sich die Jacke aus und hängt sie an den Garderobenständer im Dezernat. Er schließt die Tür hinter sich, geht ein paar Schritte über den Flur zu Ella Sandlands Büro und klopft an. Er wartet nicht ab, hereingebeten zu werden, sondern tritt gleich ein. Im Stillen hofft er, sie auf frischer Tat bei einem feuchten Tagtraum zu erwischen, einem Traum von ihm, doch bislang hat sie seine zahlreichen Annäherungsversuche mit keinem noch so kleinen Zeichen quittiert. Vielleicht bin ich nicht direkt genug, oder es hat etwas damit zu tun, dass ich verheiratet bin, denkt Brogeland.
    Sandland sitzt vor dem Computer und schreibt. Sie hebt nicht einmal ihren Blick, als Brogeland hereinkommt.
    »Bist du so weit?«, fragt er. Ein schlanker Finger schnellt nach oben, gesellt sich dann aber gleich wieder zu den anderen, die in einem Tempo über die Tastatur huschen, das jede thailändische Masseurin beeindruckt hätte.
    Brogeland sieht sich um. Ein typisch weibliches Büro. Nett und ordentlich. Sauber gestapelte Unterlagen, ein Becher mit zwei blauen und einem roten Stift. Locher und Tacker dicht nebeneinander, daneben ein Post-it-Block und ein Kalender mit dem heutigen Datum, in dem aber keine Termine verzeichnet sind. Hinter dem Schreibtisch steht ein Regal mit schwarzen Ordnern, in dem Fachliteratur und Lexika ein eigenes Brett bekommen haben. Eine Yuccapalme ziert grün und frisch den Raum, und auf dem Tisch stehen eine Glasvase mit langstieligen Rosen, eine Holzschale mit Äpfeln und Birnen – sicher gerade richtig reif – und ein kleiner, staubfreier Kaktus.
    Du bist auch echt stachelig, eine harte Nuss, denkt Brogeland und mustert ihr konzentriertes Gesicht. Du stichst, jeden Tag aufs Neue, aber angenehm. Er versucht, ihren Duft einzusaugen, ohne dass sie es merkt. Sie benutzt kein Parfüm. Oder wenn, dann nur sehr wenig und noch dazu ein äußerst diskretes.
    Viele der Frauen, die er hatte, haben so intensiv, schwer und süßlich gerochen, dass er sich anschließend lange duschen musste, um diesen Geruch aus der Nase zu bekommen. Die Lust, sie noch einmal zu nehmen, war in dem Moment verflogen, wenn er auf ihnen gekommen war.
    Mit Sandland wäre das anders. Ganz sicher. Er stellt sich vor, wie es sein würde, neben ihr zu liegen, verschwitzt und wohlig müde nach einem langen Liebeskampf voller Härte und Sinnlichkeit, ohne das Unbehagen danach oder die bohrende Frage, wie schnell das Taxi da ist.
    Sie muss lesbisch sein, denkt er, sonst hätte sie doch schon einmal Lust gehabt, es mit mir zu treiben.
    Sandland drückt etwas härter als sonst auf Enter , worauf der Drucker Seite um Seite auszuspucken beginnt. Sie steht auf und nimmt die Blätter aus dem Ausgabefach.
    »Jetzt bin ich so weit«, sagt sie ohne ein Lächeln.
    Verdammt.
    Brogeland hält ihr die Tür auf, und gemeinsam gehen sie in Richtung des Zimmers, in dem Mahmoud Marhoni und sein Anwalt auf sie warten.
    Zu viel Kebab und zu wenig Sport, denkt Brogeland, als er Mahmoud Marhoni ansieht. Er scheint seit ihrer letzten Begegnung noch ein paar Kilo zugelegt zu haben. Trotzdem trägt er ein enges Shirt. Der Babyspeck legt sich wie ein Rettungsring um seinen Bauch. Wenn ich es darauf anlegen würde, das andere Geschlecht von mir fernzuhalten, denkt Brogeland, würde ich mich auch so gehen lassen.
    Marhonis Gesicht ist rund. Brogeland schätzt das Alter des Bartes auf etwa eine Woche, wobei Marhoni sich unter dem Kinn glatt rasiert hat. Seine Haut ist kastanienbraun, und er ist höchstens 1,70 Meter groß, lässt durch sein Auftreten aber keinen Zweifel daran, dass ihm fehlende Körpergröße und Übergewicht egal sind.
    Marhoni ist ein harter Brocken. Tut so, als könnte ihn die Bullerei mal kreuzweise. Aber Brogeland kennt diesen Typ, er kennt die meisten und weiß bereits, welchen Verlauf dieses Verhör nehmen wird.
    Sein Anwalt, Lars Indrehaug, ist ein Schakal. Sein ganzes Leben lang hat er Drecksäcke wie Mahoni verteidigt. Niemand in der Staatsanwaltschaft mag ihn, er ist wie eine Schlange, die nach einem Schlupfloch sucht, durch das Vergewaltiger, Drogendealer und anderer Abschaum

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