Stern der Riesen
daß die ganymedische Kehle eine tiefe, guttu-rale Artikulation produzierte und auf keinen Fall in der Lage war, die menschliche Stimme auch nur annähernd zu reproduzieren. Wie hatte Calazar das also geschafft – und dazu noch, ohne dabei wie ein Sprecher in einem schlecht synchronisierten Film auszusehen?
Nun, der Lösung dieses Rätsels würde er nicht dadurch näher kommen, daß er hier stand, überlegte er sich. Die Tür sah ganz normal aus, und es gab nur eine Art herauszufinden, ob sie verschlossen war oder nicht. Er hatte den halben Weg zu ihr zurückgelegt, als sie sich öffnete und Lyn hereinkam. Sie sah kühl und entspannt aus in einem kurzärmeligen Pullover und Hosen. Er blieb wie angewurzelt stehen und starrte sie an, während er sich innerlich halb und halb darauf vorbereitete, daß sie sich in der Tradition wahrer Filmheldinnen quer durch den Raum in seine Arme stürzen würde, um an seiner Schulter hemmungslos zu schluchzen. Statt dessen blieb sie direkt hinter der Tür stehen und sah sich lässig im Raum um.
»Nicht schlecht«, kommentierte sie. »Nur der Teppich ist zu dunkel. Er müßte eigentlich eine Spur mehr rostrot sein.« Prompt wurde der Teppich etwas rostroter.
Hunt starrte einige Sekunden lang darauf, blinzelte und sah dann verständnislos auf. »Wie zum Teufel hast du das hingekriegt?« fragte er und sah noch einmal nach unten, um sich zu versichern, daß er sich nicht geirrt hatte. Er hatte sich nicht geirrt.
Sie machte ein überraschtes Gesicht. »Das macht VISAR. Er kann alles. Hast du dich noch nicht mit ihm unterhalten?« Hunt schüttelte den Kopf. »Wenn du nicht Bescheid weißt, wie kommt es dann, daß du andere Kleider anhast? Was ist mit deinen Eskimo-Klamotten passiert?«
Hunt konnte nur den Kopf schütteln. »Ich weiß es nicht.
Ich weiß auch nicht, wie ich hierhergekommen bin.« Er starrte wieder auf den rostroten Teppich herab. »Verblüffend... ich glaube, ich könnte einen Drink gebrauchen.«
»VISAR«, sagte Lyn mit etwas lauterer Stimme. »Wie wär's mit einem Scotch – pur, ohne Eis?« Ein mit einer bernsteinfarbigen Flüssigkeit gefülltes Glas erschien aus der leeren Luft auf dem Tisch neben Hunt. Lyn nahm es auf und bot es ihm an, als sei das ganz normal. Er streckte zögernd eine Hand aus, um es mit den Fingerspitzen zu berühren und hoffte zur gleichen Zeit, es wäre nicht da. Es war da. Er nahm das Glas mit unsicherer Hand entgegen und probierte einen Schluck, um dann ein Drittel des Rests mit einem Schluck herunterzukippen. Die Wärme verbreitete sich angenehm in seinem Magen und hatte nach wenigen Momenten ihr eigenes kleines Wunder getan. Hunt holte tief Luft, hielt einen Moment lang den Atem an und atmete langsam, aber unsicher wieder aus.
»Zigarette?« fragte Lyn. Hunt nickte, ohne nachzudenken. Eine bereits angezündete Zigarette erschien zwischen seinen Fingern. Nur nicht nachfragen, dachte er.
Das alles mußte eine komplizierte Halluzination sein.
Wie, wann warum oder wo wußte er nicht, aber ihm blieb keine andere Wahl als mitzuspielen. Vielleicht hatten die Thurier diese gesamte Einleitung zusammengestellt, damit sie sich an die Situation anpassen oder an sie gewöhnen konnten, oder etwas Derartiges. Wenn das wirklich der Fall war, konnte er sie verstehen. Das hier war so ähnlich, als würde man einen Alchimisten aus dem Mittelalter in eine computerisierte chemische Fabrik versetzen. Thurien –oder was es auch immer war – verlangte eine gewisse Akklimatisierung, das wurde ihm klar. Nachdem er zu diesem Entschluß gekommen war, hatte er nach seinem Gefühl die größte Hürde bereits überwunden. Wie aber hatte Lyn es geschafft, sich so schnell anzupassen? Vielleicht brachte es Nachteile mit sich, wenn man Wissenschaftler war, die er sich bisher noch nicht klargemacht hatte.
Als er aber aufsah und ihr Gesicht musterte, konnte er erkennen, daß ihre oberflächliche Ruhe nur erzwungen war, um eine tiefer sitzende Verwirrung zu kontrollieren, die nicht viel geringer als seine eigene war. Ihr Bewußtsein errichtete zur Zeit einen Block, um sich vor dem zu schützen, was hinter all dem stand, wahrscheinlich ähnlich einem verzögerten Schock, der eine weitverbreitete Reaktion auf außergewöhnlich schmerzhafte Nachrichten, wie etwa die vom Tod eines nahen Verwandten, war. Er konnte kein Anzeichen dafür entdecken, daß sie ähnlich traumatische Erlebnisse wie er hinter sich hatte. Zumindest dafür konnte man dankbar sein.
Er ging zu einem
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