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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Schuljunge war, gewiß schon einmal gewesen ist. Ich war ganz erstaunt über die anheimelnde Wiederholung unseres eigenen Lebens, während ich zu B. H. amüsiert hinüberzwinkerte.
    »Ruhe«, donnerte der Lehrer. »Sie lachen falsch. Schüler Schram hat in seiner ungebildeten Art die richtige Antwort gegeben … Gehen wir weiter! Wo haben wir gestern unterbrochen?«
    Durcheinander der Bubenstimmen, die eifrig antworteten. Ich mußte nur die Augen schließen, um mich in meine eigene Schulzeit versetzt zu fühlen. Was diese Antworten freilich zu bedeuten hatten, davon verstand ich zuerst gar nichts:
    »Gestern haben wir die Maria Magdalena gehabt: Herr Lehrer … und dann haben wir gehabt den Täufer, aber nur einen Augenblick …«
    »Einer nach dem andern, wenn ich bitten darf«, rügte der Lehrer. »Wir sind nicht auf dem Geodrom bei einer Rätselsoiree, sondern im Djebel in der Lamaserie der Chronosophen, deren Vorhof anzugehören wir die Ehre haben …«
    Ich sah erschrocken meinen Virgil an, den Wiedergeborenen, der sich zu meinem Ohr neigte und mir zuflüsterte: »Du brauchst keine Angst zu haben F. W., den Planeten Maria Magdalena hast du unter dem Namen Venus gekannt, den rötlichen Täufer unter dem Namen Mars, und der Apostel Paulus war einst Saturn mit seinem Ring. Nach dem letzten Erdenkrieg, du erinnerst dich, dem Krieg von drei dreizehntel Minuten zwischen den Blauen und Roten, der ja wegen der Sternbenennung ausbrach, beschloß das Konzil von Tao-Tao, die Planeten und galaktischen Konstellationen zu christianisieren. Sie heißen jetzt nach den Propheten, Aposteln und Heiligen.«
    »Verstanden, B. H.«, sagte ich wie ein Bauchredner mit geschlossenem Munde, und mit einem Blick auf den Lehrer: »Ich glaube, wir dürfen nicht schwätzen …«
    Der Lehrer, der nun wieder auf dem Kathederpodium stand, verkündete, indem er mit seinem Geographiezeigestab eine Wellenlinie in der Luft beschrieb:
    »Wir werden uns heute zu einem freien Programm bekennen, zu Ehren unserer teueren Hospitanten …«
    »Fein, Herr Lehrer, freies Programm ist immer lustig«, jubelten die Jungen durcheinander und ließen jeden Ernst und jegliche Feierlichkeit vermissen.
    »Wir legen nun unser Raumtauchergewand an«, befahl der Lehrer trocken und machte damit dem Freudenausbruch ein Ende.
    Rings um mich Bewegung und lautes Geraschel. Die Schuljungen schlüpften in die Schlafsäcke aus wasserdichtem, oder vielmehr aus raumdichtem Stoff, die auf den Schulpritschen lagen. Es waren aber keine Schlafsäcke, sondern wirkliche Tauchergewänder mit Kopfglocken aus dickem Glas, das heißt Glas konnte es wegen der Leichtigkeit nicht sein, sondern irgendeine durchsichtige Masse, vielleicht dieselbe, aus welcher der Djebel errichtet war. Der Lehrer höchstselbst half mir und B. H. in die sonderbare Montur und schraubte mir die Glocke über die Schulter fest. Wenn mich einer meiner früheren Zeitgenossen gesehen hätte – einen Befrackten im Tauchergewand –, der hätte ohne Zweifel große Augen gemacht. Glücklicherweise sah, hörte und atmete ich in diesem hermetisch verschlossenen Gehäuse, das fast überhaupt kein Gewicht besaß, weit besser als früher. Der raumdichte Stoff, und vor allem die durchsichtige Masse der Kopfkugel, schien alle Sinne zu schärfen, sogar das Gehör.
    »Kannst Du es verstehen«, sagte ich zu B. H. neben mir, »daß ich auf eine mir ganz unbekannte Art Herzklopfen habe?«
    »Ich kann es wohl verstehen«, versetzte er, »da auch ich das erste Mal an einer chronosophischen Übungsstunde teilnehme, und ich lebe schon hundertundsieben Jahre in dieser Zeit und Welt.«
    »Nun, da muß ich mich wenigstens vor Dir nicht schämen, B. H.«, lachte ich.
    »Wir strecken uns nun aus, jeder auf sein Lager der Ruhe und Bewegung«, ordnete der Lehrer an, was von der Klasse mit unnötigem Lärm und Gelächter befolgt wurde, worauf er noch einmal seinen Wahlspruch laut erschallen ließ:
    »Ernst und Feierlichkeit bitte!«
    Ich verstand ihn. Mein Herz klopfte wirklich arhythmisch. Es war mehr als Ernst und Feierlichkeit in mir. Es war Furcht und Zittern. Ich konnte nicht bezweifeln, daß wir nach all diesen Vorkehrungen nicht nur bildlich, sondern körperlich in den Weltraum auffahren würden. Der Lehrer hatte jetzt den Tonfall eines Schiffskapitäns, der die letzten Anordnungen zur Abreise trifft. »Ich ernenne heute die beiden Schüler Io-Hol und Io-Rar zu Antwortern. Lasset unsere lieben Gäste nicht aus den

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