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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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dir, wir alle glaubten, das Ereignis habe Ewigkeiten gedauert. Während es stattfand, waren wir wie aus der Zeit geworfen. Hinter der schweren, dicken Wolkenwand des dreizehnten Novembers flammte plötzlich vom Aufgang zum Niedergang das Empyreum auf, der Feuerhimmel, von dem die Menschen einst geglaubt hatten, daß er hinter allen andern Himmeln liege. Wie soll ich dir das Ungeheuerliche schildern, es gab nichts mehr, keine Stadt, keine Häuser, keinen Park, keine Allee, keinen Baum, kein Ich, kein Du, es gab nur Licht, ein Licht aber, gegen das alles bekannte Licht die schmutzigste Dämmerung war …«
    »Ich habe immer gefürchtet«, murmelte ich erschüttert, »die Sonne könne einmal eine Herzattacke oder einen Wahnsinnsanfall bekommen …«
    »Nenn’ es, wie du willst«, sagte er. »An jenem Freitag, dem dreizehnten November, drohte die Sonne mit sich selbst durchzugehn. Man kennt das ja von anderen Lichtgestirnen, die urplötzlich explodieren, das heißt zur millionenfachen Größe ihrer selbst anwachsen. Ich weiß nicht, ob wir in unserer gemeinsamen Gymnasialzeit schon etwas von der Novabildung gelernt haben, oder ob das erst eine viel spätere Entdeckung war. Das Große aber an unserer Sonne ist, daß sie zugleich, als sie mit sich durchging, sich selbst beherrschte und sich selbst in der Gewalt behielt. So kam es nur zu dem großen Ereignis der ›Transparenz‹ und nicht zur Vernichtung. Das Ereignis überschritt die Grenze des Geistigen kaum. Und doch, wir haben den Jüngsten Tag erlebt …«
    »Wie furchtbar muß es gewesen sein«, hörte ich mich murmeln, »wie furchtbar.«
    »Furchtbar!« rief er aus. »Es war herrlich, unausdrückbar herrlich! Wäre die Kürze des Augenblicks nur um eine fehlende Null länger gewesen, alles wäre vorbei für immer. Hätte irgendein Wesen auf Erden während der ›Transparenz‹ ein brennendes Streichholz in der Hand gehalten, die Atmosphäre hätte sich entzündet und wäre wie eine Flammenfahne in den Raum verpufft. Warum? Weil der Sauerstoff der Luft vor und nach der Transparenz einige Sekunden lang ums Dreifache vermehrt war. Aber es gab eben keine Streichhölzchen mehr auf Erden, kein offenes Feuer und nicht einmal Lavaströme. Da sind heute noch Gelehrte, die behaupten, die Vermehrung des Sauerstoffes in der Atmosphäre sei die Ursache der göttlichen Begeisterung, der unaussprechlichen Ekstase gewesen, die mich und alles andere, das lebte, in jenem Bruchteil von Zeit erfüllte …«
    »Wie soll ich mir vorstellen«, wunderte ich mich, »daß in einem solchen Bruchteil von Zeit sich überhaupt eine Empfindung entwickeln kann, B. H.?«
    »Du kannst dir diesen Bruchteil ähnlich vorstellen, F. W., wie etwa die Steigerung in einem niemals erdachten Symphoniesatz. Ach Gott, das alles ist ein Blödsinn, und du kannst dir gar nichts vorstellen. Versuche aber trotzdem dir vorzustellen, du hättest bisher nur als Figur auf einem Bilde gelebt, und plötzlich brichst du leibhaftig und dreidimensional aus der Leinwand. Stell dir vor, das, was du bisher für dein Leben genommen hast, sei nichts als ein Krampf, eine verkümmernde Kontraktur aller Muskeln, und mit einem Schlage bist du von diesem Krampf erlöst und in der richtigen Haltung. So ungefähr empfanden wir das Leben während der Transparenz … Oh, du hast viel verschlafen, F. W.«
    »Ich habe mir nicht gewünscht, geweckt zu werden«, erwiderte ich ebenso unlogisch wie pikiert.
    »Fühlst du dich wirklich so unwohl in deinem Mantel aus Durchsichtigkeit?« fragte er, und ich merkte, daß ich ihn gekränkt hatte.
    »Wenn ich deinen klaren Bericht überdenke, B. H.«, lenkte ich ein, »so hat es sich weniger um ein astronomisches Ereignis gehandelt, das unrettbar zum Untergang geführt hätte, als um ein unendlich kurzfristiges Schwanken in der Sonnennatur zwischen Dauer und Vernichtung, zwischen Fortstrahlen und Zusammenflammen, um einen Augenblick auf des Messers Schneide gleichsam, der sich in der Lichterscheinung ausdrückte, die du oder die Wissenschaft ›Transparenz‹ nennt. Ich verstehe die Begeisterung, die Ekstase des Jüngsten Tages und der Welterlösung, die diese Transparenz auslöste. Sonst aber scheint sie ergebnislos und ohne Folgen vorübergegangen zu sein …«
    »Sie hatte Folgen«, fiel er mir ins Wort, »die Transparenz verlief nicht nur wie ein Schauspiel …«
    »Aber keine physikalischen und chemischen Folgen«, warf ich ein, »bis auf die augenblickliche Vermehrung des

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