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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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und kleinen Vögeln, die dicht nebeneinander hockten und ein gewaltiges Klagegeschrei und Gezwitscher erhoben, das sich nicht beschreiben läßt. Es war ein einziger, scharfgezackter Wehelaut, der unter den tiefhängenden Wolken vibrierte …«
    »Und das nennst du einen ordinären Alltag«, schüttelte ich den Kopf.
    »Er war es«, nickte B. H., ein ganz ordinärer Wochentag, ein Freitag, ein dreizehnter November wieder einmal. Die ersten Extrablätter berichteten die Sache mit den Vögeln bereits um zwei Uhr morgens ebenso wie die verschiedenen wellenversendenden Agenzien. Den Uranographen, den du vermutlich bald kennenlernen wirst, gab’s damals noch nicht. Wir durchliefen gerade eine stark rationalistische Epoche, und das Vertrauen in die Wissenschaft war unbedingter, als du es je erlebt hast, F. W. Die gelehrten Institute nahmen die Angelegenheit noch mitten in der Nacht in die Hand. Um vier Uhr früh war das Phänomen geprüft, analysiert und erklärt. Es hing zusammen mit irgendwelchen elektromagnetischen Unregelmäßigkeiten, die zum Entstehen ganzer Ketten von Kugelblitzen in den untern Schichten der Atmosphäre geführt hatten.«
    »Immer weniger Alltag, mein Bester«, fiel ich ein und spürte genau, wie ich mit den Schultern zuckte, obwohl sie unsichtbar waren.
    »Glaub mir, F. W., bis auf das Vogelgeschrei war’s der banalste Freitag, den du dir denken kannst. Und wie lange braucht eine richtige Metropole, um über das extremste Geschrei zur Tagesordnung überzugehen? Zwei, drei Stunden. Um elf Uhr dreißig hatte sich die Welt bereits daran gewöhnt, und die Schlagzeilen der Mittagszeitungen beschäftigten sich wieder mit den Eheaffären eines weltberühmten Ventriloquisten …«
    »Und um elf Uhr fünfundfünfzig?« fragte ich.
    »Da begann ich gerade mein Gesicht einzuseifen«, erwiderte B. H., voll Nachdenklichkeit. »Um diese Zeit erhob sich damals der arbeitende Kulturmensch. Dies ist nämlich eine meiner gesichertsten Erfahrungen im Laufe so mancher Wiedergeburten: Je fortgeschrittener die Menschheit, um so später steht sie auf.«
    »Und um zwölf Uhr zwanzig?« fragte ich hartnäckig weiter.
    »Um zwölf Uhr vierundvierzig«, sagte er und machte eine längere Pause, ehe er fortfuhr, »um zwölf Uhr vierundvierzig verließ ich meinen komfortablen Lebensraum, um einer Einladung zum Frühstück Folge zu leisten. Es ist übrigens durchaus unwahr, daß wir damals, wie ein geschichtsschreibender Witzbold es formulierte, in überaus praktischen ›Wohnsärgen‹ lebten, die sich nach unserm Hinschied mechanisch verkapselten und selbsttätig in die Erde versenkten. All das ist Schwindel. Unsere Lebensräume waren wohl recht klein, aber angenehm wie ein elastischer Handschuh. Längst waren die Zeiten vorüber, wo der Mensch um seinen Platz an der Sonne, und noch mehr um seinen Platz im Schatten zu kämpfen hatte …«
    »Jetzt ist es mindestens zwölf Uhr fünfzig Minuten, B. H.«, drängte ich ungeduldig, denn ich fühlte, wie er mir auf Seitenwegen entwischen wollte. »Du bist aus deinem Lebensraum, aus deinem Haus getreten. Ich fürchte, du wirst zu spät zum Lunch kommen …«
    »Ich werde überhaupt nicht zu diesem Lunch kommen, F. W.«, lächelte er träumerisch. »Ich werde gerade noch unseren städtischen Park in der nächsten Nähe erreichen. Du weißt, daß ich immer die Fortbewegung per pedes apostolorum geschätzt habe. Meine Absicht war’s auch diesmal, zu den Freunden, die mich eingeladen hatten, ganz gemächlich hinzubummeln. Ich kam freilich nicht weit …«
    »Weil inzwischen das Ereignis eintrat?« trieb ich ihn vorwärts. Er sah sonderbar verstört durch mich hindurch. Die Erinnerung schien ihn noch immer zu verwirren.
    »Wie kann man«, fragte er ins Leere, das ich war, »von etwas, was keine oder fast keine Zeit in Anspruch nimmt, leichtfertig sagen, es trete ein?«
    »Fast keine Zeit ist immerhin so gut wie jede andere Zeit«, erklärte ich. »Das Ereignis währte demnach den Bruchteil einer Sekunde, B. H.? Vielleicht kannst du diesen Bruchteil in Zahlen ausdrücken …«
    »Und ob ich’s kann«, entgegnete er und schrieb in die Luft sehr geschwind eine beträchtliche Reihe von Nullen, an deren Ende er energisch einen Einser setzte.
    »Ich verstehe nichts davon«, erwog ich, »aber ich denke, ein Bruchteil von solcher Winzigkeit kann ja gar nicht sinnlich wahrgenommen werden.«
    »Gar nicht sinnlich wahrgenommen werden«, wiederholte er beinahe höhnisch. »Ich sage

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