Stern der Ungeborenen
Io-Schram, und machen Sie weiter so …«
Ich drängte jetzt meinen Schimmerkopf dicht an B. H. und flüsterte erschrocken: »Um Gotteswillen, was ist das ein Unikel, ein Achad, ein Monal … So etwas haben wir in unserm Gymnasium doch nicht mehr gehabt, nicht wahr, B. H.?«
»Ich denke doch, F. W.«, beruhigte mich der Freund. »Haben diese Dinge nicht Atome geheißen, was eine ganz falsche Bezeichnung ist, denn sie waren alles eher als unzerlegbar, und man hat sie schon damals in Nukleus und Elektronen aufgeteilt. Ebenso falsch ist es, daß sie heute Unikel heißen, Achads und Monale, denn ich sehe nicht ein Objekt, sondern neun, ein großes und acht kleine …«
Hinter mir erscholl aufrührerisches Gezisch der Klasse:
»Das ist ein Trick … ein gemeiner Trick, Herr Lehrer … Sie haben uns hereingelegt …«
»Oho«, lachte B. H. leise, »die Buben haben recht. Er hat uns wirklich hereingelegt und durch eine verflixte chronosophische Finte aus dem Weltraum in einen faulen Mikrokosmus gejagt, ins Atomnetz eines verirrten Sonnenstäubchens oder in was Ähnliches, wo wir jetzt als Subkometen herumstrolchen.«
»Aber wir haben doch nichts an Geschwindigkeit verloren«, wunderte ich mich.
»Ein Trick, Herr Lehrer, ein Trick«, zischten die Knaben immer revolutionärer.
»Ruhe dort«, befahl der Lehrer, »Trick ist ein häßliches und respektloses Fremdwort. Seht Ihr nicht mit euern dummen Augen, daß es auch in
diesem
unendlich kleinen, aber immerhin unermeßlichen Raume Sterne gibt? Das bedeutet, Ernst und Feierlichkeit tut not überall … Mit welchem Index bewegen wir uns nun, Io-Knirps?«
Der Kleine mit dem runden Köpfchen schluckte und schnupfte ins Leere: »Wir haben jetzt … einen Minuskoeffizienten …«
»Gut gesagt, mein lieber Junge«, lobte ihn der Lehrer, herzlich bereit, den Sünder zu trösten. Danach aber wandte er sich an die ganze Klasse:
»Sie werfen mir vor, ich hätte einen Trick gebraucht, um Sie hereinzulegen. Unbeschadet des häßlichen Fremdworts, das unserer edlen Monolingua nicht ansteht, ich gebe es zu. Ich hab ein Unterrichtsmittel verwendet, das nur wenige Lehrer kennen, um meine Schüler von einem Extrem ins andere zu führen. Warum aber habe ich das getan, meine jungen Freunde? Ich hab’s getan, damit Sie so früh wie möglich, das heißt schon während des ersten Jahrgangs, die Anfangsgründe der Chronosophie sich organisch zu eigen machen. Diese unumstößlichen Grundsätze aber lauten wie folgt: Das unendlich Große ist unendlich klein, wie das unendlich Kleine unendlich groß ist. Was soll das heißen? Das soll heißen: Nichts ist groß und nichts ist klein. Nichts ist lang und nichts ist kurz. All diese Worte sind im Lichte des Geistes illusorisch. Groß allein ist der Mensch, wenn er in sich selbst den Weg vom unendlich Großen bis zum unendlich Kleinen und vom unendlich Kleinen bis zum unendlich Großen zurücklegen kann. Das ist eine uralte Weisheit und beinahe eine Banalität, wie mir Seigneur bestätigen wird. Der Unterschied zwischen den uralten Weisen und uns Chronosophen besteht nur darin, daß wir uns nicht damit begnügen, das All in uns selbst zu tragen, sondern daß wir uns selbst ins All tragen. Um wieviel kühner sind wir als die Meeres-, Luft-, Raketen-, Stratosphären- und Mondschiffer des grauen Altertums! Zuerst betreten wir die Planeten und lernen ihre Wesenheiten kennen und nähern uns auf kurze Distanz unserm vor Lebenstätigkeit berstenden Lichtgestirn. Die Sicherheit der Bewegung im Niederen Intermundium, die freie Geschwindigkeit beim Kometenturnen, sie ist das Wichtigste, denn sie entscheidet über alle späteren Fortschritte. Ja, meine lieben jungen Freunde, bald werdet ihr mich verlassen und euere Aufnahmeprüfung in die Lamaserie der Sternwanderer machen. Dann fahret ihr auf, wie man falsch sagt, in den hohen Raum hinaus, Jahr um Jahr, da wird’s Ernst. Zuerst versenkt ihr euch ins galaktische Reich, von dem wir selbst ein Teil sind. Ihr dringet vor von den näheren Konstellationen zu den Wundern der Ferne. Dann aber nach neuen, schweren und rigorosen Prüfungen werdet ihr euch hinauswagen auf die unaussprechlichen Ozeane, die zwischen den einzelnen Universen der Sternnebel liegen. Und so mögen denn einige unter euch aufsteigen zu den Gipfeln der Menschheit, von den Sternwanderern zu den Verwunderern, den Thaumazonten, und von den Verwunderern zu den Fremdfühlern, den Xenospasten. Vielleicht aber ist sogar einer von euch
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