Stern der Ungeborenen
Groschen feilbot; und zwar offerierte der meist allzu dünn bemäntelte Sternhändler am liebsten den Jupiter, weil diesen Giganten selbst das schlechteste Rohr als imposante Scheibe mit vier Monden enthüllte. Ich aber hatte mit meinem plattgedrückten Hintern auf den Plastilinwogen des rostroten Ödmoors gesessen, den sicheren Untergang vor Augen, ebenso wie ich auf dem geschmolzenen Bleimeer des Merkur in die reibungslose Höhe gesprungen war wie ein Gummiball und das einzige Mal das göttlich großmütige Verschwenderleben unserer Sonne nicht nur mit meinem Geiste, sondern mit meinen durch stumpfsilberne Wolken geschützten Augen begreifen durfte. Wie das alles zustandegekommen war, das habe ich in sukzessiver und pragmatischer Art beschrieben. Ist ein Reiseschriftsteller zu einer anderen und gründlicheren Methode verpflichtet? Nein, sage ich, und immer wieder nein. Wir wissen schon alle, daß der geistvolle und scharfsinnige Leser verschiedene Erklärungen für den kristallenen Wunderbau des Djebels bereit hält und verständnisvoll nachdenklich von der nur halb gelesenen Seite aufblickt, wenn er an die televisionäre Ikonographie denkt, die einen Himmelskörper dort oben ohne weiteres abtragen kann, um ihn hier unten in beliebiger Größe wieder aufzustellen. Ich selbst habe all diesen Einfällen des Argwohns und der Grübelei an den gebührenden Stellen meiner Erzählung Ausdruck verliehen, dort nämlich, wo sie während des Erlebnisses selbst mich bedrängt hatten.
Da wir nun unser Raumtauchergewand abtaten und säuberlich auf die Schulpritschen legten, so möchte wohl manch einer gern den hauchdünnen, wachstuchartigen Stoff darauf untersuchen, ob nicht etwa ein rostroter Moorspritzer oder ein erstarrter Bleipatzen daran kleben geblieben war. Ich leugne diese Möglichkeit keineswegs. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß wir Spuren planetaren Stoffes mitgebracht haben. Ich sehe jedem Neugierigen in die Augen und frage ihn leise: »Ist es nicht wichtiger, daß ich echten Engeln begegnet bin, Compère? Und echte Engel lassen sich auf der lichtempfindlichen Platte nicht festhalten.« Darauf wird mein hypothetischer Unterredner vielleicht brummen, daß er die Begegnung mit Engeln in den Intermundien weder für wichtig noch für einen wissenschaftlichen Gewinn halte. Ich aber werde unerschrocken darauf antworten: »Sehen wir von der geistigen und metaphysischen Bedeutung jener Melangeloi und Leukangeloi völlig ab. Bleiben wir unbeirrbar bei der Naturwissenschaft. Halten Sie etwa für keinen naturwissenschaftlichen Gewinn die völlig neue Erfahrung, daß es eine
transzendentale Materie
gibt, die jenseits der Elektronen und doch diesseits des reinen Geistes liegt, eine Brücken-Substanz gleichsam, die allverkleidungsfähig den leersten Abgrund der Schöpfung ausfüllt? Dehnt sich nicht gerade dort das Reich aus, wo wir Toten leben, das heißt aufgehoben sind, und von wo man mich selbst, ohne an die Folgen zu denken, weggelockt hat?«
Es ist selbstverständlich, daß ich trotz obiger imaginärer Unterhaltung das Wort Engel weder gegenüber B. H. noch gegenüber irgend jemandem andern gebrauchte. Mir schwante, daß noch so manche Epoche am Djebel würde vorbeifliegen müssen, damit das Dasein von Engeln und das Wesen der transzendentalen Materie erkannt und ergründet werde. Daß ich mich in dieser pessimistischen Annahme getäuscht hatte, sollte ich erst in der Zelle des Hochschwebenden erfahren.
Doch nicht nur mich, der ich die Engel im Gemüte trug, erfüllte eine unbekannte transparente Hochstimmung, auch meines Freundes, des Widergeborenen, Gesicht glühte, und seine dunklen Augen leuchteten tiefinnerlich, als der Lehrer ihn von der Kopfkugel endlich befreit hatte. B. H. dankte ihm mit folgenden Worten:
»Es ist mir, als hätte ich zu allen meinen anderen Leben noch zwei Leben mehr gelebt, Herr Lehrer.«
Da ein oft Wiedergeborener also über eine kurze Schulstunde sprach, so war es ein wirkliches Kompliment. Unser guter Pädagoge freute sich auch sichtlich und murmelte etwas bescheiden Abwehrendes über »Propädeutik«, über seine »unzureichenden Kräfte« und über die »allzu harmlose Aufgabe«, worauf ich eilig versicherte, daß wir, sollten wir noch einmal gewürdigt werden, ins Graue Neutrum aufzufahren, dies unter keines anderen Lehrers Leitung tun würden als unter der seinigen. Während ich dem offensichtlich erfreuten Manne diese Ehre bezeugte, hatte ich dank meiner gehobenen Stimmung bereits
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