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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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leichteste Verständlichkeit, die gute Möglichkeit, sich in die geschilderten Gestalten ohne Mühe einzufühlen, rasches Tempo der dargestellten Geschehnisse und vor allem möglichst wenig Beschreibungen. Es fällt mir nicht ein, gegen diese berechtigten Forderungen des Lesers aufzubegehren. Sie sind und bleiben das Gesetz, das ich und jeder andere Autor zu erfüllen hat. Dennoch supponiere ich hier einen gutmütigen oder, besser gesagt, einen verständnisvollen, einen toleranten Leser, der sich gewisser Schwierigkeiten meines Stoffes bewußt ist und ermunternd zu mir spricht:
    »Unsere chronosophische Übungsstunde im planetaren Raum war schließlich auch nichts anderes als eine Besichtigung. Ich hätte mir zwar eher den Saturn ausgesucht als den Jupiter – dem Saturnring gilt nämlich von Jugend an meine astronomische Neugier –, aber ich habe doch einiges erfahren und gefühlt, was außerhalb des üblichen Vorstellungskreises liegt und wovon man in gewöhnlichen Romanen nichts zu hören bekommt …«
    Als unsicherer, unruhevoller Autor stürze ich mich natürlich auf diese ermunternden Worte des gutmütigen Lesers, der leider nur meine eigene Erfindung ist, und erwidere:
    »Sie werden auch bei der Besichtigung des Djebels nur Menschen und Phänomenen begegnen, die außerhalb Ihres üblichen Vorstellungskreises liegen und dergleichen in keinem Roman zu finden sind, der je geschrieben wurde. Wenn ich Ihnen die Erfahrungen und Gefühle, die Erschütterungen und Schauer der großen, interstellaren, ja der nebularen Räume nicht unmittelbar zuteil werden lassen kann, ohne zu lügen, so werden Sie doch jene Menschen sehen, die in ihrem kurzen Erdenleben diese Erschütterungen und Schauer kennengelernt haben und bis an die Grenzen der fernsten Himmel gelangt sind, von denen gerade noch eine blasse Strahlenspur die feinsten Instrumente trifft, und vielleicht nicht einmal diese. Sie werden dem
kosmi-
schen Menschen
einer sehr fernen Zukunft gegenüberstehen, der sich zum Herrn über Zeit und Raum aufgeworfen hat und für den Nähe und Ferne, Augenblick und Ewigkeit fast schon ein und dasselbe sind wie für den Schöpfer. Sie werden die merkwürdigen Folgen sehen, welche die unaufhörliche Hochspannung an Körper und Seele des vollkommenen kosmischen Menschen hervorbringt. Sie werden schließlich die Lösung der Welträtsel aus dem Munde des Hochschwebenden erfahren, eine Lösung, die noch keinem Sterblichen anvertraut worden ist. Und auch sie wird in dem Preis einer mäßigen Mahlzeit eingeschlossen sein. Zu all dem verspreche ich Ihnen, Sie viel schneller durch die Erkenntnisräume des Djebel zu lenken, als uns der unerbittlich gründliche Fremdenführer des Zeitalters gelenkt hat. Denn mich selbst drängt es bereits, den Djebel zu verlassen und zurückzukehren zu unsern Hausfreunden, zu Lala, zu Io-Fagòr, zu Io-Do, zur Ahnfrau und in die mentale Welt, wo sich inzwischen eine Katastrophe vorbereitet, wie ich dunkel fühle …«
    Der Djebel, von außen gesehn ein großes Gebirge, ein mächtiger Alpenkomplex, war innen eine noch hundertmal mächtigere und reichere Welt, zu deren wirklicher geistiger Durchdringung die Hingabe eines ganzen Lebens kaum gereicht hätte. Eins aber sei sofort berichtet: Die Fortbewegung durch die gewaltigen Räumlichkeiten des künstlichen Berges, die Überwindung seiner beträchtlichen Distanzen nahm ziemlich wenig Zeit in Anspruch. Wie nämlich schon bei uns, die wir ein sehr frühes Altertum gerade durchleben, in guten Hospitälern die Krankensäle »temperiert«, das heißt auf demselben Wärmegrad gehalten sind, so herrschte auf den Korridoren, Laufgängen, Verbindungswegen, schiefen Ebenen und Trottoirs roulants des Djebels eine »temperierte Gravitation«. Das soll heißen, man konnte die irdische Schwerkraft innerhalb des Djebelgebiets nach Belieben hoch oder niedrig schrauben. (Als wir auf den Schulpritschen reibungslos labyrinthisch im Finstern umherfuhren, hatten wir, ohne es zu wissen, die erste Bekanntschaft mit der regulierbaren Gravitation gemacht.) Doch nicht nur auf den Verbindungswegen herrschte diese temperierte oder besser gesagt modifizierte Gravitation, sondern auch im Innern der einzelnen Lamaserien, zum Beispiel in jener der Sternwanderer, der Astropathetiker, die wir soeben durcheilten.
    Die Sternwanderschaft bedeutete die erste höhere Stufe des chronosophischen Studiums, wenn überhaupt der Begriff des Studiums hier verwendet werden darf. Alles im mentalen

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