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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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anzupassen. Es war ein ganz wundersames Gefühl, einen Raum zum Beispiel zu erblicken, der mit keinem einzigen Strahl irdischen Lichtes erfüllt war, sondern mit dem unaussprechlich schwachen, dunkelfliederfarbenen Hauch, der in dem Lichtgestirn Beteigeuze (Alpha Orionis), einer der ungeheuren rötlichen Welten des Intermundiums Ersten Grades, seinen Ursprung hatte. Betreten durften wir die einzelnen Sternräume schon deshalb nicht, weil in manchen die Gravitation zu Übungszwecken so hochgespannt war, daß sie uns Unbelehrte und Untrainierte zu Boden geschleudert und erschlagen hätte. Wir flogen also, von einer geminderten Schwerkraft beschwingt, einen Laufgang, eine schiefe Ebene dahin, die zwischen durchsichtigen Wänden entlang führte, und machten dann und wann halt, wenn der Fremdenführer sich entschloß, eine der astrogymnastischen Übungen unserer Betrachtung anzuempfehlen. Ich konnte natürlich den Zweck und Sinn der jeweiligen Übung nicht begreifen, und auch die Erklärungen und Deutungen des Fremdenführers hätten mir nicht zum rechten Verständnis geholfen, da mir jede notwendige Voraussetzung fehlte. Der spiegelköpfige Ägypter Arbaces aus »den letzten Tagen von Pompeji« schwieg aber glücklicherweise. Wozu auch war es nötig, den Sinn der Übung analytisch zu erfassen? Vermittelte nicht der bloße Anblick geheimnisvollen Sinn genug, manchmal in der Form ekstatischer Schönheit, manchmal in der Form grotesker Verrenkung? Da lag zum Beispiel ein wohlgebauter Jüngling auf dem spiegelglatten Boden und streckte langsam, langsam seinen nackten Körper immer länger und länger, so daß nicht nur ich allein vor Angst aufschrie. Als der Astrogymnastiker seinen Leib zu fünfzehn Fuß Länge ungefähr ausgedehnt hatte, ohne daß seine Sehnen rissen und seine Knochen brachen, schnellte er in seine frühere Größe und Körperform zurück. Und dies geschah nicht im Grauen Neutrum der völligen Schwerelosigkeit wie das Kometenturnen der Kinder, sondern unter einer bedeutend erhöhten Schwerkraft, das heißt auch Schwierigkeit. Das Lichtgestirn, dem er diente, hatten die Araber einst Unuk-al-Hay genannt, Schlangenhals. – Anderen Ortes sah ich einen jungen Menschen, der nichts tat als auf Zehenspitzen, mit tief nach hinten geworfenem Haupte, in der weltumarmenden Haltung eines Gekreuzigten dazustehen oder dazuschweben. Hier forderte das betreffende Lichtgestirn (Albireo war der Name) von seinem Verehrer und Erforscher nichts anderes als Ausdruck, und zwar den Ausdruck ekstatischer Allsympathie und Opferhingabe.
    »Dies wird ein herrlicher Sternwanderer werden«, sagte der Fremdenführer, auf den Jüngling weisend, »denn schon entwickelt sich die Schönheit seiner Körperhaltung zur Schönheit seiner Seele.«
    Im Nebenraum herrschte die rötliche Trübnis eines anderen Gestirns, wahrscheinlich, nach der Farbe zu schließen, eines tausendmal größeren, als es unsere Sonne ist, eines Gestirns, dessen dämonischer Charakter die Studiengruppe, die sich seiner Erforschung widmete, zu ganz absonderlicher Astrogymnastik bewog. Es war
Eltanin
oder Caput Draconis, Drachenkopf. Ich sah zu meinem, anfangs mißbehaglichen, Erstaunen mehrere schöne Jünglingskörper in etwas verwandelt, das heißt verschlungen und zusammengeknüllt, was ich nicht anders nennen kann als ein »Schlangennest«. Jeder dieser prächtigen Jugendleiber bildete einen elastischen und scheinbar unentwirrbaren Knäuel, aus welchem viel mehr schlüpfrige Glieder hervorzuzüngeln oder hervorzugaukeln schienen, als er in Wirklichkeit besaß. In diesem Raume, erklärte uns der Fremdenführer, herrsche die höchste Übungsgravitation der ganzen Lamaserie. Nicht weit davon entfernt aber zeigte er uns einen Riesensaal, wo die Übungsgravitation auf den niedrigsten Grad herabgesetzt war. Hier, im bläulich hellen, gesammelten Strahlenschein einer ganzen Traube von Lichtgestirnen auf dem Gipfel ihrer Lebenstätigkeit, bildeten Hunderte von nackten Jünglingskörpern – jeder einzelne ein kosmisches Tänzergenie gleich unserm Knirps – alle möglichen Wundergebäude, die freilich so schnell von einem ins andere übergingen, daß mein Auge sie kaum erfassen konnte, obwohl sie mich von Ferne an phantastische Varieténummern und Pantomimen gemahnten. Jetzt bildeten die leuchtenden, durcheinander schwingenden Körper eine Art von gotischer Kathedrale mit zwei hochragenden Türmen, einer sich wie ein Rad drehenden Rose überm Portal und vielen nickenden

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