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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Zeitalter, und vorzüglich im Djebel, war ja so verschieden von unsern einstigen, das heißt jetzigen Lebensinhalten, daß ich die Analogien in der Form mit Bewußtsein in den Vordergrund dränge, damit der Unterschied im Wesen um so leichter zugänglich werde. Die große Masse der Sternwanderer glich demnach unsern Studenten oder, genauer gesagt, den Seminaristen eines geistlichen Kollegiums, oder noch exakter, den jugendlichen Mönchen jener buddhistischen Riesenklöster in den tibetanischen Hochgebirgen, deren B. H. auch sogleich Erwähnung tat, weshalb ich schon von Anfang an das Wort Lamaserie gewählt habe, um den richtigen Eindruck hervorzurufen. Wie die Kinder der chronosophischen Elementarschule kometenturnten und im Niederen Intermundium sich herumtummelten, so war den Studenten der Astropathetik der »Große Weltraum ersten Grades« zugewiesen, unter welchem Terminus technicus jenes kosmische Reich verstanden wird, zu dem auch unser Sonnensystem gehört und das der Volksmund die »Milchstraße« nennt. Dies alles sagt und schreibt sich leicht hin, aber der Erfahrungsstoff, den die Sternwanderer zu bewältigen hatten, war schier unermeßlich und die von der Studienordnung geforderte Anstrengung übermenschlich, was der allgemeinen mentalen Bequemlichkeit aufs rühmlichste widersprach. Wenn zum Beispiel ein paar kurze Unterrichtsstunden unseres braven, Ernst und Feierlichkeit fordernden Unterlehrers vollauf genügten, unser ganzes Planetensystem nicht nur mit Augen zu schauen, sondern auch mit Füßen zu treten, so hätten mittels desselben chronoelastischen Übungsgrades Jahrtausende nicht hingereicht, um in den obgenannten intergalaktischen Weltraum auch nur flüchtig die Nase zu stecken. Wenn der Besuch des Apostel Petrus vergleichsweise nur ein Zimmerschrittchen vom Bett zum Tisch bedeutete, so hätte man im Verhältnis dazu mehrmals die Reise um die ganze Erde zurücklegen müssen, um irgendein besseres Lichtgestirn der Milchstraße zu erreichen. Meine eigenen Erlebnisse im Niederen Intermundium und zugleich das Wissen um diese kaum faßlichen Distanz-Unterschiede, die der Fremdenführer mit seiner histrionischen Heiserheit bis in die Dezimalstellen aufzählte, ließen mich erschrecken vor Mut und Leistung, welche von der astropathetischen Jugend gefordert wurde. Wenn ich nicht irre, so bewegt sich das uns am nächsten benachbarte Lichtgestirn, Alpha Prophetae Jesaja (ehemals Alpha Centauri) in einer Bahn, die vier Dreizehntel Lichtjahre entfernt liegt, was nach kosmischem Fahrplan nur eine lächerliche Bagatelle von Abstand ist. Abseitigere Individualitäten derselben Milchstraße nämlich bewegen sich in Entfernungen von hunderttausend und Millionen Lichtjahren. Nicht um den geistvollen Leser zu beleidigen, sondern nur um ihn zu erinnern, erwähne ich hier, daß ein Lichtjahr genausovielmal dreihunderttausend Kilometer oder einhundertsechsundachtzigtausend Meilen mißt, als ein Jahr Sekunden besitzt. Dies sei auch noch deshalb erwähnt, damit der physische und psychische Lehrstoff der astropathetischen Jahrgänge im rechten Licht stehe.
    Ich will vom körperlichen, vom gymnastischen Lehrstoff vorerst sprechen, weil von der seit vielen Jahrhunderten erprobten Studienordnung für diesen viel mehr Zeit aufgewendet wurde, als für die geistige Unterweisung. Genauer gesagt, die Chronosophie lehrte, daß die Wahrheit den Weg von außen nach innen nehme, von der Erfahrung zum Urteil, von der Empfindung zur Erkenntnis, von der Oberfläche zur Mitte, vom Körper zum Geist. Nun, diese Lehre war alles eher als neu, und B. H. hatte, wie er einwarf, schon im zwanzigsten Jahrhundert die Bekanntschaft jener altehrwürdigen Yoga gemacht, deren praktische Mystik auf diesem Princip begründet war. Dennoch konnte auch er Staunen und Bewundern nicht unterdrücken, als wir die oberen, die Gipfelräume, gewissermaßen die Mansarden des Djebel durchflogen (sie beherbergten die im Range niedrigsten Klassen) und Zeugen der astropathetischen Gymnastik wurden. Die »Mansarden« bestanden aus einer unabsehbaren Flucht von weitläufigen Räumlichkeiten, von denen die meisten im geisterhaften Schimmer zuerst gesammelten und dann zerlegten Sternenlichtes dahindämmerten. In jeder dieser Erkenntnishallen, Säle, Gemächer, Zellen war eine größere oder kleinere Seminaristengruppe unter Führung eines Meisters damit beschäftigt, durch bestimmte Übungen den eigenen Körper der Wesenheit eines Lichtgestirns oder eines Sternbildes

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