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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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ausschlafen dürfen, und wie wach und unternehmungslustig ich mich jetzt fühlte, unbeschadet der schlaflosen Nacht gestern. Der alte Bummler war in mir nicht zu Grunde gegangen.
    Daß ich mich in einem großen Theater fand, das ein richtiges Theater war, wunderte mich ebensowenig wie mich heute mittags das richtige Schulzimmer der Knabenklasse im Djebel verwundert hatte. Das innere Gesetz mancher Erscheinungen läßt nur geringe Varianten ihrer äußeren Form zu. Das Theater des Sympaian war, wenn ich mich nicht sehr täusche, eines der vielen öffentlichen Institute und Staatsgebäude, welche die riesige zentrale Plaza oder das Geodrom dadurch bildeten, daß sie es umringten. Gebäude ist, wie man mit Recht einwenden wird, ein ungenauer Ausdruck. Oberhalb der Erde bezeichnete nur eine große, leere, hochgewölbte und gewissermaßen unfertige Halle – man erinnere sich an das Wort Schattenarchitektur – die Örtlichkeit und ihren Zweck. Ich kann heute nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob diese sonderbar leere, hohle Eingangshalle ein Dach gehabt habe, oder ob die dichtgesäten Sterne oben hereinschauten. Daß dieses Opernhaus, man verzeihe diesen altmodischen Begriff, sehr tief unter der Erde lag, muß nicht eigens erwähnt werden. Es bestand, wie ich durch das Wort »Theater« schon angedeutet habe, aus Zuschauerraum, Orchester und Bühne.
    Der Zuschauerraum stieg amphitheatralisch empor und war ähnlich wie die Ränge im alten Zirkus in lauter Logen eingeteilt. Diese sehr geräumigen Logen wurden durch niedre Scheidewände gebildet, die sie von den Nachbarlogen zur Rechten und zur Linken abtrennten. Unsere Fauteuils ersetzten breite, hochgestützte Ruhelager, die sechs Personen nebeneinander bequemen Raum gewährten. Nach hinten wuchsen diese Logen in guter Überhöhung zur Galerie, so daß die Sicht aufs beste gewahrt blieb, wobei sich später herausstellen wird, daß gute Sicht und gute Akustik nicht die erste Forderung des modernen Theaters waren. Jede Loge umschloß drei Ruhelager stufenweise hintereinander, bot demnach achtzehn Personen Raum. Da aber, wie wir schon wissen, der heutige Sympaian den hundert vorzüglichsten Brautpaaren des Arrondissements gewidmet war, so war die erste Reihe des vordersten Logengürtels im Amphitheater freigelassen, so daß jedes der Brautpaare auf einem eigenen Ruhelager sich’s bequem machen konnte, einem Lager, das mit den wunderbarsten Schleiergeweben, Kissen und Decken in matten oder changeanten Modefarben geschmückt und außerdem von ganzen Lasten der rostroten Strauchrosen überschüttet war. Die herrlichen Bräute in ihren taubengrauen, ins Bläuliche spielenden Schleiern, durch welche das verwischte Elfenbein der Nacktheit durchschimmerte, daneben die Jünglinge in enganliegendem Schwarz und mit schimmernden Goldhelmen, alle diese lässig im Festeslicht hingestreckten Gestalten, die sich feierlich an den Händen hielten, sie bildeten vergleichsweise eine Halbkette von Juwelen, die anzustaunen schon eine kleine Reisestrapaze wert war. Dennoch will ich nicht so weit gehen in der Bewunderung des Fremden und Zukünftigen, um nicht anzuerkennen, daß zum Beispiel ein Theatre Paré in der Wiener Hofoper oder das Scalatheater in Mailand während der Uraufführung von Puccinis posthumer Turandot um nichts weniger glanzvoll gewesen ist als dieser Sympaian hier und jetzt einige Äonen später.
    Wie immer dies auch sein mag, im Hause des Sympaians versammelte sich die Creme der astromentalen Gesellschaft. Habe ich recht gehört? Ertönt hinter meinem Rücken das Wort »Demokratie« in fragend klagendem Ton? Nun, da gibt’s wirklich nichts zu drehen und zu deuteln, ich meine an meinen hundert Edelbräuten und Fiancés. Ebensowenig aber gibt es zu drehen und zu deuteln an der schon mehrfach festgestellten Tatsache, daß wir hier nicht nur in einer vollkommenen Demokratie, sondern in der idealsten Form des Kommunismus leben. Doch gerade dadurch, daß vor undenklichen Jahrtausenden die Demokratie zur Selbstverständlichkeit geworden war, hatte sie aufgehört zu bestehen. Sie gehörte nämlich zu jenen Relativismen des Lebens, die durch Verwirklichung aufgehoben werden. Solange die gerechte Forderung nach materieller und potentieller Gleichheit jedes Erdenbürgers noch nicht erfüllt war, konnten die Politiker und Journalisten davon leben, daß sie diese gerechte Forderung erhoben. Als sie aber nach zahllosen Kämpfen, Siegen und Niederlagen endlich triumphierte, da traten die

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