Stern der Ungeborenen
Bildhauer oder gar Architekten (letztere mit Riesenzirkeln und Dreiecken), war von den drei bildenden Künsten die Malerei doch die zweckfreieste und nutzfremdeste. Ich hatte den Eindruck, daß ein Drittel der Freier irgendeine der Künste zur Beschäftigung erwählt hatte. Unter den anderen fanden sich erstaunliche Liebhabereien. Einer war mit Gießkanne, Spaten und Rechen erschienen, er hatte seinen Garten von der zentralen Bewirtschaftung abgehängt und pflegte ihn selbst. Ein anderer zeigte ein altmodisches Spinnrad. Wer wußte noch, daß dieses antike Werkzeug in die Hand von Frauen gehörte? Ein dritter hatte eine Art von Schellenbaum vor sich stehen, auf dem winzige Pergamentrollen hingen. Es war das Sinnbild der philologischen Verspieltheit. Eines vierten Hand umklammerte ein Billardqueue, als sei es eine Lanze. Ich verstehe noch immer nicht, daß es mir nicht deutlicher auffiel und meinen Verdacht erregte, daß sich neben Io-Do mindestens fünfzehn, wenn nicht mehr, Waffensammler unter den Freiern fanden. Unser Bräutigam hatte den plumpen Trommelrevolver, jenen wildwestlichen Schießprügel aus dem neunzehnten Jahrhundert, der mir gestern ins Auge gestochen hatte, an einem Riemen um die Schulter gehängt. Er war besonders stolz auf dieses Stück, viel stolzer natürlich als auf seine unscheinbaren »Fernsubstanz- oder Fernschattenzertrümmerer«. Die Runde der hundert Brautpaare war durch ein eigenes warmes Licht aus dem übrigen Zuschauerraum hervorgehoben, der seinerseits in ein angenehmes Dämmer gehüllt war. Huldigend stand alles der vornehmen Jugendblüte zugekehrt. Man konnte sich nicht sattsehen. Die weiten taubengrauen Schleiergewänder, welche die leuchtenden Mädchenkörper verrieten, die schwarzen Festgewänder der Jünglinge, ihre goldenen Helme, die unruhig aufblitzten, die schmalen, ebenholzschwarzen Haubenhelme der Bräute, die den Gesichtern eine strahlende Helligkeit verliehn, Halsketten und Ohrgehänge, Arm- und Fußringe aus großen blassen Steinen, die Grazie des leicht manierierten Gebärdenspiels, das silbern zwitschernde Stimmengewirre, all das schneite über mich nieder wie ein seliges Flockengestöber, und es war mir, als sei ich selbst jung und gehöre in ihre Reihe und entstamme nicht unermeßlich fernen Räumen und Zeiten.
Man hatte mir den Ehrenplatz dicht hinter unserm Paare angewiesen. Ich sollte mich zwischen B. H. und dem Brautvater Io-Fagòr niederlassen, während die Eckplätze des breiten Lagers für die Brautmutter Io-Rasa und die Ahnfrau GR 3 reserviert waren. Daß man B. H. neben mich postiert hatte, war eine besondere Aufmerksamkeit des Bräutigamvaters Io-Solip, der auf den ihm gebührenden Platz verzichtete, damit ich meinen Vergil dicht bei mir habe. Der liebe Herr Solip begnügte sich mit der Ruhebank hinter uns, welche er mit den drei Junggesellen teilte. Ich darf nicht verschweigen, daß eine kleine Friktion zu meinem Wohlgefühl nicht unwesentlich beitrug. Vorhin, als alle Brautpaare und somit auch unseres, gleichzeitig ihre Logen betraten und der stürmische Empfangsapplaus verebbt war, hatte Lala sich mit suchenden Augen umgedreht. Ich wußte: sie suchte mich. Da sah sie mich auch schon und lächelte überaus gnädig und zwinkerte mir sogar ein bißchen zu, eingedenk unseres Freitanzes am heutigen Morgen. Meine Nerven reagierten in einer kindischen Weise, die ich ihnen nicht mehr zugetraut hätte, wahrhaftig, ich zuckte vor Erregung zusammen wie ein Zwanzigjähriger, der ich vielleicht nach astromentalem Zeitmaß beinahe wieder geworden war. Genau wie ein Zwanzigjähriger fühlte ich mich auch bemüßigt, meinem Glücksgefühl irgendeinen versteckten Ausdruck zu verleihen. So erfand ich denn ein Verschen und flüsterte es B. H. ins Ohr:
Ein Frauengruß kann für den ganzen Tag
Ein Herz, das schon verzichtet, blühen machen …
»Wer hat das Ghasel geschrieben, das mit diesen Versen beginnt«, fragte ich heuchlerisch, »welcher von den persischen Trunkenbolden, Hafis, Firdusi oder Omar Kayam? Ich hab’s vergessen, du aber, mein Freund, wirst es erkennen, wie du den Kaiser Hadrian erkannt hast.«
»O Gott, F. W.«, schüttelte B. H. den Kopf, »kannst du dich nicht endlich von all diesen infantilen Dingen befreien, jetzt, wo du zum erstenmal einen Sympaian erleben sollst …«
»Sympaian, auch ja natürlich«, nahm ich mich zusammen, »ich freue mich ja so darauf. Welches Stück werden wir zu sehen bekommen?«
»Vielleicht wird jeder von
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