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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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welches meine Gastfreunde in schweigende Depression versetzt hatte. Ich rief ihn an. Er blieb stehen. Ob sein spöttisch überlegener Ausdruck echt war, weiß ich nicht. Daß er sich unangenehm berührt fühlte, weiß ich. In meiner Verlegenheit machte ich eine konventionelle Handgebärde zu Io-Do, dem Fiancé hin:
    »Darf ich vielleicht die Herren miteinander bekannt machen?«
    Io-Do bleckte mit einem verkrampften Lächeln die Zähne. Er konnte aber kein Wort sprechen, denn Io-Joel kam ihm zuvor:
    »Nicht nötig, Doctus und Seigneur«, sagte er gewandt, »die Herren kennen mich, und ich kenne sie …«

Siebzehntes Kapitel
    Worin während des festlichen Sympaians, der großen musikalisch-dramatischen Improvisation des Zeitalters, jenes Unglück geschieht, das in seinen Folgen zum Wendepunkt der astromentalen Geschichte wird.
    Zu Anfang dieses Kapitels, das in einem Schauspielhaus beginnt und mit einer Tragödie endet, muß ich rückhaltlos bekennen, daß ich mich wohler fühlte als je. Daß ich mich wohl fühlte, kam daher, daß ich mich rein fühlte und mehr als das, prächtig gewaschen, rasiert und ausgebügelt. Ich befand mich nun ungefähr dreißig Stunden wieder auf der Welt, nachdem man mich aus meiner langen Absenz hervorgeholt hatte, wo ich gut eingemottet in den Garderoben der Unsichtbarkeit vorhanden gewesen wie alle meinesgleichen. Obwohl ich während dieser Stunden nicht viel Gelegenheit gehabt hatte, mich zu beschmutzen, durchdrang mich doch immer wieder das peinliche Bewußtsein meiner zerknitterten Wäsche und Kleidung. Dieses Bewußtsein ging so weit, daß ich B. H. heimlich fragte, ob es für mich nicht möglich und tunlich sei, beim festlichen Sympaian in der üblichen Schleierraffung wie alle anderen Mentalen zu erscheinen. Ausgeschlossen, erwiderte B. H. schnell und strikt. Mein Frack mache ja weit größeren Effekt als ich selbst. Ohne dieses »echte und wunderliche Altertum« an meinem Körper würde ich nicht viel anders ausschauen als ein gewöhnlicher Mensch, der das Pech habe, ziemlich behaart und barbierbedürftig zu sein. Im übrigen, fuhr B. H. mit gesenkter Stimme fort, nachdem er sich umgesehn hatte, sei das kosmetische Pech, behaart zu sein, viel weiter verbreitet, als man ahne; sogar unter den jüngsten und schönsten Bräuten gebe es einige, welche die dichtesten Blond- oder Schwarzlocken unter ihren Helmhauben versteckten. B. H. wies schließlich darauf hin, daß er selbst um meinetwillen in der Verkleidung eines prähistorischen Feldsoldaten umherlaufe. Das war ein schlagendes Argument, dem ich nichts entgegenhalten konnte. Dennoch seufzte ich aber, daß ich gewöhnt sei, am Abend vor Besuch eines Festes meine Wäsche und meine Kleidung zu wechseln. B. H. lachte von ganzem Herzen.
    Hab’ ich wirklich vergessen, dir zu helfen, du Ärmster? Man stellt sich einfach unter die Phosphordusche, das ist alles. Gesagt getan. Die trockene Dusche gab mir nicht nur das langentbehrte Gefühl köstlichster Reingewaschenheit, Frottiertheit und Rasiertheit zurück, sondern hatte auch mein Hemd im Nu gewaschen, geplättet und gesteift und meinen Schwalbenschwanz in jenen untadeligen Zustand zurückverwandelt, in welchem er mir von meinem Wiener Schneider frisch ins Haus geliefert worden war. Muß ich noch hinzufügen, daß die erwähnte Reinigungsart nicht nur Körper und Gewand, sondern auch Seele und Geist aufs wohltätigste auffrischte, und zwar im Handumdrehen? Als wir nach einer späten, aber ähnlich gehaltvollen Mahlzeit wie gestern zum Festorte aufbrachen, diesmal mit dem jungen Paar an unserer Spitze, da war mein Herz voll ungezügelter Neugier, als hätte ich heute nicht schon dem Park des Arbeiters meinen Besuch abgestattet, einen gründlichen Exorzismus überstanden, mit König Saul und seinem Sohn diskutiert, im Grauen Neutrum kometengeturnt, auf dem Mare Plumbinum Merkurs gehüpft wie ein Gummiball, auf Jupiters rotem Ödmoor gelastet wie ein Nilpferd, im Innenraum eines Monals herumgefuhrwerkt, die Lamaserien der Sternwanderer, Verwunderer und Fremdfühler durcheilt, vom Hochschwebenden die Gestalt des Weltalls und den wichtigsten Augenblick meines Lebens in Erfahrung gebracht, den Dschungel von außen betrachtet, den Exodus der Katzen und den Hühnermord miterlebt – keine ganz mittelmäßige Leistung für einen einzigen Tag. Ich dachte daran, wie müde mich die ersten Stunden meines neuen Lebens gestern gemacht hatten, nachdem ich mich vorher einige Weltalter lang hatte

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