Stern der Ungeborenen
seltsame Parade langhinschießender Katzenleiber nicht mehr so ganz unvermischt schien wie früher. Neben und unter den zumeist hellfelligen Hauskatzen tauchten da und dort dunklere, plumpere, fremdere Tierkörper auf, manche davon kleiner, manche aber auch beträchtlich größer. Ich kann von diesen Tieren, die sich dem Exodus angeschlossen hatten, nichts anderes aussagen, als daß sie gewiß Vierfüßler und vermutlich Säuger waren. Da es auch in der astromentalen Erdepoche keine Regel ohne Ausnahme gab, so mußten innerhalb der endlosen, mit dem eisengrauen Rasen bedeckten, zur einheitlichen Panopolis zusammengefaßten Kontinente unzählige Schlupfwinkel vorhanden sein, vergessene Einöden, verborgene Schluchten und Klüfte, in welchen allerlei scheues Wild Herberge und Nahrung fand. Ein Teil dieses hier in der Nähe beheimateten Wildes schien nun die Gelegenheit gerne zu benutzen, um im Gewühl der treulosen Katzen in den Dschungel zu echappieren. Den höheren Tierarten ist ja die Anlage zu kausalem Handeln nicht gänzlich versagt. Diese Anlage mochte sich im Laufe der Zeiten höher entwickelt haben. Wenn die Katzen, von denen jedermann weiß, daß sie am Hause, aber nicht am Menschen hängen, diese Häuser verließen, warum sollten die ungezähmten Tiere mit ihren schärferen Instinkten nicht ebenso Lunte riechen. Das Wild, das sich da und dort unter die Katzen mischte, war mir nicht bekannt und mußte verschiedenen Kreuzungen und Kombinationen der Vergangenheit entsprungen sein. Ich hätte keins richtig benennen können. Da waren füchsische Kreaturen darunter, marderartige, ameisenbärenähnliche, am häufigsten aber Variationen der Katzennatur selbst. Hätte zum Beispiel jenes schlanke Tier mit dem runden, abgeplatteten Kopf und dem sandfarbenen Fell nicht eine Wildkatze, ein Luchs, ja sogar ein kleiner Berglöwe sein können, wie er zu meiner Lebenszeit noch dann und wann in californischen Städten auftauchte? Jetzt gab es hier außerhalb des Dschungels keine Berge, ich weiß es. Und doch, das elegant gefährliche Tier sah einem jener Berglöwen ähnlich. Es wand sich, wie ich es so scharf wie möglich ins Auge faßte, in einer der Felsrinnen zutal. Während aber die Hauskatzen den Festungsgraben durchjagten, ohne sich um ihre Umgebung zu kümmern, schlug der zierliche, löwenartige Fremdling einen Haken, stürzte sich auf die dicken Riesenhühner, im Laufe einiger Sekunden ein veritables Massaker unter ihnen veranstaltend. Es gelang ihm aber nicht, seine Beute davonzutragen, denn die Dschungelleute kamen mit Zaunpfählen gerannt, um ihre Hühner zu retten. Sie stießen schrille, kriegerische Schreie aus. Die Knöpfe an ihren Jacken leuchteten auf im letzten Sonnenpurpur. Der Räuber war beutelos entflohen. Klägliches Gegacker kollerte ihm nach. Einer der ausgesungenen Hähne ließ sein ohnmächtiges Gekrächze hören. Dann vernahm man nurmehr das leise Gepiepe von vier oder fünf großen Hennen, die in ihrem Blute saßen, aber noch lebten. Eine kurze Stille folgte, ehe jäh und ohne jeden Übergang die Hähne und ihr Volk in scheußlichem Blutdurst, hüpfend und flügelschlagend sich auf die verwundeten Hennen warfen, sie zerfleischten und auffraßen. Das dauerte keine Minute. Nichts war übriggeblieben als einige Haufen von blutigen Federn, Knochen und blutigem Gras. Die Dschungelleute trieben darauf das Federvieh scheltend heim, ohne von den mentalen Zuschauern die geringste Notiz mehr zu nehmen. Diese aber starrten, blaß und schweigend, auf die blutigen Reste des Hühnermords. Ich nehme an, daß keiner von ihnen jemals nacktes, das heißt unnatürlich vergossenes Blut gesehn hatte, ebensowenig wie etwa zu meinen Lebzeiten ein durchschnittlicher Staatsbürger einer Autopsie beiwohnen konnte. Mir erschien das Grausen der Mentalen lächerlich und übertrieben.
»Hühnerblut«, sagte ich nach einer Weile, »soll das etwa ein Symptom bedeuten?«
Niemand antwortete, auch Io-Do nicht, der neben mir stand. Ich erinnerte mich seiner gestrigen Frage über den Krieg: »Wie ist das, wenn der Blutquell hochspringt?«
Die Hunde hatten sich mit eingezogenen Schwänzen davongetrollt. Das lächerliche Schweigen ringsum machte mich geschwätzig. Ich wandte mich an B. H.:
»Einmal, bei einer alten Frau, hab’ ich einen kleinen Band gesehen, der war betitelt ›ägyptisches Traumbuch‹, ich erinnere mich genau. Darin konnte man die Bedeutung von Fischblut oder Hühnerblut nachschlagen und mehr als das, die genaue
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