Stern der Ungeborenen
jedesmal vor einer Improvisation drücken, er schämt sich ihrer nachher so schrecklich, daß er sich meist verkriecht. Über nichts ist er glücklicher, als wenn sein Werk sofort in Vergessenheit gerät, ohne für die Nachkommenschaft aufgezeichnet zu werden. Er pflegt nicht einmal die Rezensionen zu lesen, die an drei aufeinanderfolgenden Tagen in den ›Abendsternen‹ erscheinen. Für den kurzen Rausch, den er dann und wann im Augenblick der Inspiration selbst erleben darf, ist er gestraft durch die ewige Qual der Selbstverwerfung …«
Und all das, dachte ich bei mir, geschieht auf demselben Boden, wo man einst die synthetischen Sympaians der Filme ohne jede Inspiration und Improvisation und nur mit kalter Vorausberechnung wie chemischen Dünger fabrizierte.
»Na, na«, dämpfte Io-Fagòr meinen Freund, »gehen Sie nicht allzu weit, Io-Beha, ein bißchen eitel dürfen auch unsere Sympaianisten sein. Dem Künstler jede Eitelkeit zu nehmen, wäre grausame Härte. Er steht ja schließlich auf einer anderen Stufe als der Seleniazuse oder der Mutarianer. Er ist ein Gaukler, der hervorzubringen hat, was es nicht gibt …«
»Deshalb darf er ja auch mit sich selbst identifiziert werden und einen Namen tragen«, sagte der Beständige Gast mit der Barocktournüre.
Während dieser Unterhaltung, die mich stark fesselte, ohne mir das Wesen des Sympaians gänzlich zu offenbaren, wurden die Brautpaare mit allerlei Blüten der wächsernen Flora bestreut und mit herben Wohlgerüchen umräuchert. Uns aber, dem Publikum, servierte man ein kaltes, sublimatfarbenes Getränk, das die Bereitschaft zur produktiven Mitarbeit steigern sollte. Mit einem Mal ging eine lebhafte Bewegung durch die Menge. Drei schwarzverhüllte Persönlichkeiten wurden auf Rollstreckern ins vorderste Parterre geschoben, das schon zum größten Teil von den Stutzern und Gecken okkupiert war, der mentalen Jeunesse dorée, die sich in dem Raum zwischen Logen und Orchester auf Pfühlen, Matten und Decken manieriert räkelte. Die Stutzer und Gecken drehten sich nach allen Seiten, um recht bewundert zu werden. Es waren athletische Gestalten, gehörten aber nur zur Leichtgewichtsklasse. Immer wieder zeigte es sich, daß die Menschheit im Laufe der Epoche schwächer und zierlicher geworden war. Niemand beachtete aber die goldene Jugend, da alle Augen auf die drei schwarzen Gestalten auf den Rollstreckern gerichtet waren, die man hätte für Tote halten können, wenn sie nicht hie und da einen deutlichen Seufzer der Langeweile von sich gegeben hätten.
»Sind sie schon vereist, die drei?« fragte GR 3 mit ihrer tiefen Stimme, der nichts fremd geblieben war.
Ich sah B. H. hilfesuchend an. Er schlug die Augen nieder, auf einer Lücke seines Wissens ertappt.
»Es sind die drei Kritiker des Zeitalters«, sprang mir Io-Fagòr bei, »knapp vor Beginn des Sympaians werden ihnen die Emotionen anästhesiert, das heißt ihr Gefühlsleben mit Sympathien und Antipathien wird lahmgelegt, damit einzig und allein ihr kritischer Verstand urteile. Auch ihre Ausdrucksfähigkeit wird auf ein Minimum herabgesetzt, damit diese sie nicht hinreiße zu stilistischen Escapaden. Ganz umgekehrt wie bei den Sympaianisten, die seit drei Tagen keine Stunde allein sein dürfen, damit ihr kritischer Verstand nicht Zeit finde, an einem etwa schon vorhandenen Einfall herumzumodellieren.«
»Die Ärmsten«, seufzte ich auf, »ich hoffe, daß man sie wenigstens in Ruhe schlafen läßt.«
»Sie werden jeden Abend in traumlosen Schlaf versenkt«, entgegnete der Brautvater.
Mich beunruhigten aber nicht nur die Sympaianisten, sondern fast noch mehr die schwarzverhüllten Kritiker dort unten:
»Verzeihen Sie, Compère«, fragte ich flüsternd Io-Fagòr, »gelingt die Vereisung der Emotionen auch wirklich jedesmal?«
»Mit der Ausschaltung der guten, das heißt der freundlichen, der günstigen Emotionen kann man todsicher rechnen«, erhielt ich zur Antwort.
»Und mit der Ausschaltung der bösen, das heißt unfreundlichen, ungünstigen Emotionen nicht?«
»Nein, Seigneur, die bösen Emotionen können niemals ganz lahmgelegt werden«, sagte Io-Fagòr, »denn der kritische Verstand ist ja selbst schon eine böse Emotion, das heißt zwei böse Emotionen …«
»Zwei böse Emotionen?« wiederholte ich verdutzt.
»Ja, Seigneur. Erstens Neid, weil der Kritiker der Kritiker ist und nicht der Autor. Zweitens Schadenfreude, weil der Autor der Autor ist und nicht der Kritiker.«
»Dann aber gibt es
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