Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
sie auch mit derlei hochtrabenden Bezeichnungen anfangen?
    »Meine Verehrten«, nahm ich wieder das Wort, »was mich bestürzt, ist nicht die Stilfrage, sondern die Methode, die nackte Methode. Sie sagen also, der Sympaian, dessen Aufführung bevorsteht, sei in diesem Augenblick noch nicht gedichtet und noch nicht komponiert. Die Leute dort hinter dem Bühnenvorhang besitzen keine Textbücher und keine Noten, es ist keine Partitur vorhanden für den Dirigenten, und keine Stimmen für die Musiker im Orchester.«
    »Du hast mit andern Gehirnen zu rechnen, mein Lieber«, mahnte B. H., »mit Gehirnen, die sehr vieles gleichzeitig neben- und untereinander denken und träumen können, was man früher nur mühselig nacheinander denken konnte.«
    »Das weiß ich genau, B. H.«, versetzte ich ziemlich gedäftet, »und ich fürchte schon die ganze Zeit, daß ich nicht werde mitkommen können.«
    »Zweifeln Sie nicht, Seigneur«, ermunterte mich Io-Fagòr, der feinfühligste Mann, der mir diesseits und jenseits des Grabes begegnet war, »die Methode, nach der Sie fragen, ist die einfachste Sache von der Welt. Man ist nämlich schon vor ziemlich langer Zeit darauf gekommen, daß die schöpferischen Geister einem ganz ausgekochten Schwindelsystem huldigen. Die großen Kunstwerke der Vergangenheit sind weniger Früchte der echten Inspiration als des kritischen Verstandes. Jene mächtigen Künstler, deren Namen noch immer in den Archiven aufbewahrt werden, haben ihre Worte und Töne Hunderte Male hin und her gedreht, ausgestrichen, verändert, neugeschrieben und in den ätzendsten Säuren des Intellekts gebadet, ehe sie das Publikum erreichten …«
    »Das ist mehr als wahr, Compère«, bezeugte ich. »Die Edleren taten es unter Qualen, um die Schwächen ihres Werkes zu vermindern, und die Unedleren taten es mit kalter Berechnung, um die Erfolgschancen ihres Werkes zu mehren. Dazwischen aber gab’s die ›Literatur‹, die ›Avantgarde‹, die ›Bohème‹, die zumeist aus schwer erziehbaren Jugendlichen bestand, welche durch ein traurig physiologisches Wunder sofort nach der Geschlechtsreife dem Greisentum verfielen …«
    »Was bedeutet dieses komische Wort ›Bohème‹?« fragte man mich.
    »Gleichnisweise, meine Herrschaften, verstand man darunter bestimmte Dschungelexistenzen aus den Anfängen der Menschheit, die in Cafés, Bars, Ateliers, Filmstudios, Zeitungsredaktionen und ähnlichen Plätzen ihr gespenstisches Wesen trieben. Sie bildeten einen arroganten Klüngel quer durch alle Unterstädte unserer Welt. Sie malten und dichteten aus dem verzehrenden Ehrgeiz, einander im Absurden zu überflügeln. (Dieses Absurde war übrigens jeder Verkleidung fähig. Heute paradierte es als schwärmerischer Wahnsinn, morgen als frech vernünftelnde Sachlichkeit, übermorgen als grinsend idealer Klassizismus.) In dem Augenblick aber, wo einer den ersehnten Vorsprung gewonnen hatte, blieb er genau um diesen Vorsprung hinter den andern zurück. Denn die Bohème war dem Prinzip des Ringelspiels unterworfen, bei welchem jedes Voraus sofort zum Hintennach wird.«
    »Auch in unserm Dschungel herrscht das Ringelspiel«, bemerkte der Hausweise düster.
    Ich aber schloß meinen historischen Exkurs mit folgenden Worten: »Im Anfang entsprach der diabolische Machtwillen des Politikers genau der diabolischen Hoffart des Künstlers.«
    »Wie gut, daß Sie diese beiden Worte gebrauchen, Seigneur«, freute sich Io-Fagòr, »Machtwille und Hoffart. Unsere Konstitution hat durch die Erhebung des Seleniazusen den Machtwillen gebändigt. So bändigt sie auch die Überheblichkeit und den Geltungswillen des Künstlers, indem sie ihn einzig und allein auf die Inspiration verpflichtet und ihm die Waffe des kritischen Verstandes entwindet. Wir wollen die reine Nahrung empfangen, die ungetrübe Divination, den göttlichen Einfall selbst, ohne alle Zumischungen und Arrangements des Ehrgeizes.«
    »Wie aber ist das möglich?« fragte ich.
    Auf einen Augenwink Io-Fagòrs übernahm B. H. das Amt des Aufklärers:
    »Du mußt wissen, daß die Dichter und Musiker des Sympaians nicht minder ausgesucht und ausgesiebt werden als die elf Seleniazusen der engeren Wahl. Es werden zu diesen Ämtern nur geprüfte und erprobte
Inspirierte
zugelassen, von denen es noch viel weniger gibt als echte Mondgeweihte. Die zuständige Kommission erkennt an gewissen Zeichen und Eigenschaften unfehlbar den geborenen Improvisator. Dieser zum Beispiel möchte sich am liebsten

Weitere Kostenlose Bücher