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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Chauffeure auf ihren Standplätzen, die ihr Blut in Wallung bringen wollten, um es wärmer zu haben.
    »Ist das jetzt die Inspiration, die in den Dichter eingeschlagen hat?« fragte ich fürwitzig. Es war aber wirklich nicht so spöttisch gemeint, wie es klang.
    »Die Dichter stehen immer rechts«, belehrte mich Io-Fagòr, »auf der Herzseite befinden sich die Musiker.«
    »Das ist das mindeste, was sie tun können«, murmelte ich, »obwohl zu meiner Zeit die besseren Dichter links standen und die Musiker, die Sentimentalität der Herzseite verachtend, ihre Hundeschnäuzigkeit hervorkehrten.«
    Plötzlich machte der Musiker ein komisches Sprünglein nach vorn an den Rand des Orchesters. Eine solche biedere Naivität strahlte von seinem glatten Gesicht, daß ein sympathischer Lacher durch das Publikum lief wie ein Glissando. Der Meister nahm nicht die geringste Notiz von dieser unbeabsichtigten Nebenwirkung. Als Improvisator hatte er so viel mit sich selbst zu tun, daß ihm die Reaktion der Leute völlig gleichgültig war. Mit gerunzelter Stirn überblickte er jetzt das Orchester. Dieses zählte vermutlich an die hundert Mann. Alles Spiegelköpfe und Kutten. Ich werde meine Zeit nicht mit der Beschreibung der Instrumente vertun. Sie waren in den Formen zum Teil verschieden von den unsrigen, im Prinzip aber dieselben. Und sollte die Menschheit noch einmal so alt werden, dachte ich, sie wird immer auf dieselbe Art Musik machen, in dem sie singt, fiedelt, zupft, bläst, auf gestimmte Saiten oder auf gespannte Felle schlägt. Mein Gott, wie kläglich muß ich mir selber widersprechen. Diese Instrumente dort im Orchester
schienen ja
nur Blas- und Saiteninstrumente zu sein. In Wirklichkeit besaßen die mentalen Varianten der Geigen und Harfen gar keine Saiten, sondern waren blanke Attrappen wie der Dudelsack des Einfältigen und der Leierkasten heute morgen im Park des Arbeiters.
    Der Komponist hatte inzwischen in dem Orchester, das noch durchaus nicht viel Aufmerksamkeit an den Tag legte, einen der Holzbläser anfixiert, der sich lächelnd nachlässig erhob. Zwischen den beiden Männern begab sich ein kleines Verständigungsspiel mit den Augen, dann hob der Bläser seine Attrappe von Oboe an den Mund, und der Meister begann mit dem linken Zeigefinger ein bißchen Takt zu schlagen. Ich hörte nichts. Andere Instrumente traten hinzu, um den Oboisten zu begleiten, dessen Oberkörper im rhythmischen Vergnügen hin und her schwankte. Immer mehr spiegelten die Bewegungen des Orchesters das äußere Bild der Musik wider. Das Publikum hörte sie längst schon. Und jetzt ging auch mir das innere Hören auf, und zwar ähnlich, wie wenn einem im Flugzeug, das im Gleitflug aus ziemlicher Höhe niederkreist, die Ohren sich öffnen. Die Musik, die der Geist des Meisters erzeugte, erzeugte nun unser eigener Geist durch die Mittlerschaft des stummen Orchesters, in welchem jedermann seinen Part mit größter innerlicher Intensität im Geiste spielte. Das Geheimnis der astromentalen Musik lag nicht in einer bloßen Suggestion mit Umgehung des materiellen Klanges, sondern in der Entbindung des inneren, aktiven, musikalischen Lebens, das der Zuhörer selbst in sich trug. Es war ein gewaltiger Schritt vorwärts auf dem Wege der Verinnerlichung und Vergeistigung, dessen ich Zeuge werden durfte. Ich weiß es nicht zu sagen, aber ich halte es für möglich, daß die mentalen Kehlen und Lungen und Muskeln nicht mehr die Kraft besaßen, um im stundenlangen Spiel jene tönende Musik hervorzubringen, die wir kannten. Tatsache ist es, daß ich mich nicht erinnere, einen Hauch von Gesang gehört zu haben, und daß selbst die Monolingua oft tonlos wie das Rauschen trocknen Laubes klang. Das innere Musizieren war auch der Grund, warum das Publikum nicht schlaff und abgeschlagen dasaß wie in den Abonnementskonzerten der Symphonieorchester, sondern mit freudigen Augen die Bewegung des Orchesters durch eigene Bewegung widerspiegelte. Was könnte ich aber von der Musik Bezeichnenderes sagen, als daß ich selbst nach dem versäumten Fortschritt einer ganzen Weltzeit imstande war, sie unter Leitung des Komponisten in meinem eigenen Innern hervorzubringen. Beschämt muß ich gestehen, daß ich mich in den Anfängen der Menschheit dem musikalischen Prozeß weit weniger gewachsen gezeigt hatte.
    Es wird jedem schon klar geworden sein, daß der Sympaian nichts mit unserer geliebten Oper zu tun hatte. Die Musik, so wichtig sie war, hatte nicht die Absicht, einen

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