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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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heute nur schlechte Kritik«, entfuhr es mir.
    Allgemeine Verwunderung ringsum:
    »Kritik ist doch schon an sich schlechte Kritik. Hat es zu Ihrer Zeit etwa gute Kritik gegeben, Seigneur?«
    »Hm, unsere Kritik wurde dann und wann durch kommerzielle Rücksichten gemildert«, erklärte ich ziemlich beschämt und fügte verwirrt hinzu, »ich möchte über diesen Punkt jede Auskunft verweigern, da ich selbst Sympaians schreibe und daher von unserer ehemaligen Kritik abhängig bin.«
    Bei diesen unkontrollierten Worten, die ich sprach, bemerkte ich Io-Joel, den erstgeborenen Sohn König Sauls. Er war der letzte im Riesensaal, der noch aufrecht stand, mit dem Rücken zum Orchester, und seinen kurzsichtig apathischen Blick über das festliche Haus schweifen ließ. Er trug dasselbe Festgewand wie die Fiancés. Ich verspürte etwas Auffälliges an ihm und um ihn, als zittere die Luft nervös, die ihn einhüllte. Er unterschied sich von den Stutzern und Gecken und den andern jungen Leuten im Parterre auf eine schwer beschreibliche Art, obwohl er äußerlich völlig einer der ihren war. Rechts am äußersten Rande des Orchesters stand er, nicht weit entfernt von der Tür, über welcher auch in diesem Zeitalter die bedeutungsvolle Inschrift rötlich leuchtete: »Notausgang«. Das Licht verdämmerte. Die Freier im weiten Halbkreis faßten ihre Bräute offiziell geziert bei den Händen. Io-Do machte eine Bemerkung zu Lala. Es war zweifellos eine ärgerliche Bemerkung, denn die Schultern und der Rücken des jungen Menschen drückten Unmut aus. Ich hätte wetten können, daß die Bemerkung dem Sohne Minjonmans galt. Lala lachte ein bißchen. Wenn ich sie ansehe, dachte ich, werde ich bei diesem Sympaian nicht einschlafen.
    Als der Vorhang aufging, sah ich, daß viele im Publikum eine Geste machten, die ich zu meiner Zeit eher bei Fußballmatches beobachtet hatte als im Theater. Es war die Geste des Goalmanns, der zusammengeduckt mit geöffneten Armen den heransausenden Ball abzufangen trachtete. Diese Gebärde bewies, daß der Genuß eines mentalen Schauspiels nicht mehr in der rein passiven Entgegennahme des Dargebotenen bestand, sondern daß die Rolle, die das Publikum des Sympaians spielte, sich gegen einst verbessert hatte, wichtiger und lebendiger geworden war. Einige werden mir begreiflicherweise entgegenhalten, daß sie in dieser gespannteren Teilnahme des mentalen Publikums einen Widerspruch erkennen müssen, da sich doch die ganze Welt in der Richtung der geringsten Anstrengung und des mühelosesten Genusses entwickelt hatte. Um so enttäuschender, ernüchternder war daher, was der aufgehende Vorhang mir enthüllte. Ein mächtiger, leerer Bühnenraum mit drei weißen, kahlen Wänden. (Die kleinste Sommer- und Dilettantenbühne im Abbruch hatte einst dagegen eine atemberaubende Zauberwelt bedeutet.) Das Licht, das die Bühne beherrschte, war ebenso kahl und nüchtern wie sie selbst. Ich wußte aber sogleich, daß diese Kahlheit und Nüchternheit nicht etwa zum Stück gehörte. Rechts und links im Vordergrund stand völlig geistesabwesend je ein Herr, der durch seinen nackten Spiegelkopf und die gewisse dunkle Kutte bewies, daß er ein Offiziosus des Zeitalters war. Weiter gegen den Hintergrund zu unterhielten sich mit leiser Stimme sechs oder sieben Herren und Damen in üblicher Kleidung, die durch puren Zufall hier hereingeschneit zu sein und nichts mit dem Sympaian oder gar mit dem Publikum zu tun zu haben schienen. Etwas Undramatischeres als diese bürgerliche Gruppe ließ sich nicht vorstellen. Wenn die Schauspieler meines Vorlebens in Straßenkleidern, lachend und Witze reißend die Probebühne betraten, war’s dagegen eine spannende scène d’affaire gewesen. Ich konnte es nicht begreifen, daß in einer Welt, die soviel Sinn fürs Zeremonielle und Festliche besaß, sich gerade das Theater entblößt von aller Illusion zeigte. Mir traten die Ballette und Pantomimen der jugendlichen Sternwanderer in den Sinn. Ich erinnerte flüsternd B. H. daran. Er verwies es mir ebenso flüsternd:
    »Erstens machen die Chronosophen kein Theater, sondern suchen die Wahrheit. Zweitens braucht der Mensch heute keine kindischen Illusionen mehr, die ihm von außen eingeredet werden. Er würde sich bedanken, wenn er sie nicht selbst hervorbrächte. Und drittens warte!«
    B. H. war noch nicht zu Ende, als der linke der beiden einsamen Herren an der Rampe ein paar schwingende Armbewegungen machte, wie früher die frierenden Kutscher oder

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