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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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drängte sich das Publikum noch immer mit schreckensgroßen Augen. Doch draußen vor der Halle, auf dem schier unendlichen Geodrom, wogte die Populace zu Hunderttausenden. Es war unerklärbar, wie schnell die Kunde von dem tragischen Schuß aus einem verschollenen Feuerrohr die Runde um die bewohnte Welt gemacht hatte. Der mörderische Tod, der blutbesudelte Mors, war eingebrochen in den großen Frieden, nachdem er einige Weltalter gefeiert hatte, um dem natürlichen Abschluß aller Dinge Platz zu machen. Jetzt aber war Mors wieder identisch mit Mord. Was nützte alle Logik, die mir sagte, daß Io-Do vor unsern Schwurgerichten schlimmstenfalls der fahrlässigen Tötung hätte angeklagt werden können und nicht einmal dieser, da er die Gefährlichkeit der Feuerwaffe nicht kannte, mit der er herumgefuchtelt hatte. Aber wie stand es um seine Absicht, um seine Willensregung, die im astromentalen Rechtsleben vielleicht schwerer wog als das Faktum selbst?
    Plötzlich war’s mir, als wachse durch einen versteckten Amplifikator das Geflüster der Menschen ringsum zum Gedröhne:
    »Der Sympaian war keine Improvisation, sondern vorbereitet …«
    »Eine weite Verschwörung der Waffensammler …« »Die Kommissionen müssen sofort handeln …« »Soeben wurden alle Verlöbnisse aufgelöst …« »Das ist das verfassungsmäßige Ende des Geoarchonten …« »Man hat den Hochschwebenden gebeten heranzuschweben, er aber hat’s abgelehnt …« »Nicht nur die Waffensammler sind unter den Verschwörern …«
    Nun begriff ich, daß es sich nicht um einen traurigen Unfall handelte, sondern um eine hochpolitische Wendung, die entscheidend für das Weltschicksal werden konnte. Wie und warum, das verstand ich nicht. Aber es war kein Zweifel in mir. Plötzlich wurden mir viele dunkelbekümmerte Aussprüche Io-Fagòrs klar. Warum hatte man mich nicht deutlicher in die Entzweiung der Welt eingeweiht? Selbst B. H. hatte sich geschämt, sie dem Fremden preiszugeben. Und während mir all dies mehr und mehr bewußt wurde, sank ich beinahe um vor Entsetzen, denn ich erkannte mittels eines tiefen Wissens, über welches ich keine Rechenschaft legen kann: ich selbst war mitschuldig. Die Augen des Major Domus Mundi hatten es mir verkündet, sein Tagesorakel hatte es in dunkle Worte gefaßt. Ich fühlte mich als Katalysator, als Auslöser der tragischen Katastrophe. Einfach dadurch, weil ich eine falsche, das heißt eine verfrühte Zumischung dieser zukünftigen Gegenwart war, weil ich als Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts weder physisch noch geistig ins Elfte Weltengroßjahr der Jungfrau paßte, weil ich einige Dinge in Erfahrung gebracht hatte, die mir und meinem Jahrhundert zu wissen noch verboten waren.
    Mit diesem Schuldgefühl im Herzen stand ich bestürzt unter meinen neuen Freunden. Io-Fagòr, der seine stolze Haltung bewahrte, sprach kein Wort. Lala hielt noch immer ihr Gesicht verhüllt. So auch Io-Rasa, die Brautmutter. Io-Do war verschwunden. Der liebe Herr Solip lag halb ohnmächtig in den Armen des Wortführers, der mit den beiden anderen Junggesellen, zum erstenmal einig, irgendwelche murmelnden Verabredungen traf. Der arme B. H. war völlig gebrochen um meinetwillen und um der Familie willen. Jeder aber wußte, daß Unabsehbares sich vorbereitete, und daß jenes Steinchen ins Rutschen geraten war, welches zur Lawine zu wachsen bestimmt ist. Am wenigsten berührt erschien die uralte Ahnfrau. In ihren Augen schimmerte die Neugier des unverwüstlichen Lebens.
    Zu Hause angelangt, floh ich sofort auf mein Zimmer, in dem ich allein sein wollte. Selbst die Nähe meines besten Freundes, von dem ich doch so sehr abhängig war, hätte mich in dieser Nacht gestört. Man ließ den Fremden in Frieden. Vielleicht aus Scham, vielleicht weil man Wichtigeres zu planen hatte. Ich aber fühlte, wie in den Häusern der Panopolis tief unter der Erde die Männer auf und ab schritten und berieten. Die ganze Nacht hindurch tappten die leichten nackten Schritte der Verschwörer und der Abwehrer neben, über, unter und in mir.

Achtzehntes Kapitel
    Worin die Braut an mein Bett tritt, mich aus dem Fegfeuer weckt und mir einen betörenden Antrag macht, der meiner Moral heftig zusetzt.
    Ich hätte meinen Lesern das Folgende gern erspart. Da ich aber mit so vielen seltsamen und fremdartigen Gefühlsverstrickungen nicht hinter dem Berg gehalten habe, so kann ich auch diese Seltsamkeit nicht verschlucken, obwohl sie keineswegs die Welt angeht, sondern

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