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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Hochschwebenden. Inzwischen ist etwas Entsetzliches geschehen. Ein archaischer Revolver ist losgegangen. Io-Fra wurde aufgeopfert. Die Verlöbnisse sind gelöst. Ich protestiere. Nicht ich bin der Schuldige. Trotz des Tagesorakels. »Wer ist hier?«
    Es war ein konventioneller Ausruf. So fragt etwa in kindlichen Geschichten ein erwachender Ohnmächtiger: »Wo bin ich?« Ich aber wußte schon eine ganze Weile lang, wer hier war. Und eine Frage lag mir auf den Lippen, die sonst eher in Opern und Operettentexten zu Hause ist als im wirklichen Leben: »Ist es ein Traum?« Nein, ich konnte darauf nicht mit hübscher Melodie trällern: »Es ist ein Traum, es ist ein Traum. Oh wonniges Entzücken.« Da ist schon eher der schwebende und kriechende Gewissensbiß in der Leere des Fegfeuers ein Traum gewesen, obwohl auch dies sich nicht einmal mit fünfundzwanzig Prozent Sicherheit behaupten läßt. Ich hielt den Mund und fragte zuerst gar nichts, sondern schaute und schaute. Die Braut, die an meinem Bette stand, die mich aus dem Fegfeuer gerettet hatte, war Wirklichkeit, war Fleisch und Blut, war Duft und Atem. Sie hatte ihr taubengraues Festgewand noch nicht abgelegt, obwohl ihr Hochzeitsfest blutig zerstört worden war. Sie schien sich im Gegenteil neu geschmückt zu haben. Auf der linken Handfläche trug sie vorsichtig ein weißes Ding, das genau wie ein großes Ei aussah. Es war aber eine Nachtlampe, oder richtiger eine Lichtquelle, denn ohne daß dieses Ei selbst leuchtete, verbreitete es einen milden Schein um seine Trägerin. Das erste, was ich tat war, meine Schleierdecke bis ans Kinn ziehen, denn es war mir unangenehm, in Hemdsärmeln dazuliegen.
    »Verzeihen Sie«, murmelte ich verlegen.
    Lala sagte überhaupt nichts, als verschmähe sie, trotz der astromentalen Erziehung zur feinsten, indirekten Konversation, in dieser Minute etwas Leeres und Förmliches zu sagen. Sie schaute mich an mit ihren herrlichen blauen Augensternen im regungslosen Gesicht. Somit war
ich
gezwungen zu reden.
    »Ist etwas geschehen, Lala, ein neues Unglück?«
    »Es geschieht viel«, entgegnete sie kurz und mehrdeutig.
    »Kommen Sie deshalb zu mir?« fragte ich.
    »Nein, nicht deshalb«, sagte sie.
    »Ich glaube, Sie dürfen gar nicht zu mir kommen, Lala«, flüsterte ich, als sei Gefahr, daß man uns belausche, »zu mir, zu einem Todfremden. Sie sind doch noch immer Braut. Wozu gibt es die Kemenate im Hause? Was würde Ihr Vater denken, wenn er wüßte, daß Sie mich besuchen, so spät in der Nacht?«
    Lala quittierte meine philiströse Frage mit einem sonderbaren leisen Lachlaut:
    »Ich bin keine Braut mehr«, sagte sie trocken nach einer ziemlich gedehnten Pause.
    Ich aber verfiel, mir zum Abscheu, wieder einmal in den belehrenden Ton, wie er mir Lala gegenüber wider Willen schon mehrmals unterlaufen war:
    »Daß Sie keine Braut mehr sind, das ist nur Ihre subjektive Auffassung, Lala. Wie aber ist die objektive Rechtslage?«
    »Meine subjektive Auffassung ist die objektive Rechtslage«, sagte Lala mit dem erstaunlichen Witz, zu dem kleine Mädchen manchmal in kämpferischen Momenten fähig sind.
    »Ist der Fiancé im Hause?« fragte ich mißtrauisch.
    In Lalas Blick trat bei der Antwort eine Schärfe, die mich durchforschte:
    »Io-Do hat seine Waffen gepackt und ist aus dem Hause gegangen.«
    »Und Sie, Lala, wissen Sie wohin er gegangen ist?«
    »Zu schrecklichen Leuten, Seigneur.«
    »Zu was für Leuten, Lala?«
    »Zu den Verschwörern. Zu den andern Waffensammlern.«
    »Sind das nicht harmlose Narren?«
    »Sie träumen davon, ihre Waffen zu verwenden.«
    »Tun Sie Ihrem Bräutigam nicht unrecht, Lala«, mahnte ich, »er hat weniger Schuld als Pech. Er hat nicht wissen können, und es ist auch absurd, daß in dem antiken Revolver der lebendige Tod steckte. Das übertrifft bei weitem die Gerstenkörner der Mumie, die man nach fünftausend Jahren einpflanzte, und die volle Ähren gaben.«
    Lala schüttelte unzufrieden den Kopf:
    »Es ist nicht ganz so, Seigneur. Io-Do hat den Bruder Io-Fra immer gehaßt und gequält. Und mich hat er betrogen, denn ich hab’ nichts von der großen Verschwörung gewußt …«
    Trotz dieser Enthüllungen gedachte ich, meine Verteidigung Io-Dos fortzusetzen bis zum Letzten.
    »Lala«, sagte ich, »ich kenne den Menschentypus genau, zu dem Ihr Bräutigam gehört. Zu meiner besten Zeit stand er in Blüte. Als ich das erste Mal Io-Do und seine Waffensammlung sah, hab ich’s sofort gespürt. Man nannte diesen

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