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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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hingegen drängten sich in den Kinos, um auf der Leinwand großen Schmuck, blendende Abendkleider, weiße Hemdbrüste und zahlungskräftige Erotik beglückt anzustaunen. Jetzt freilich im Elften Weltengroßjahr der Jungfrau gab’s kein Geld mehr, keine sozialen Unterschiede und vor allem kein Elend. Es gab aber dafür den Dschungel, und der Dschungel, von dem man öffentlich nicht sprechen durfte, schien im Herzen der Idealisten wie Io-Joel und der heutigen Autoren eine schwärmerische Abstraktion zu bilden.
    Der Improvisator zog neue Schauspieler in die Handlung. Jetzt hatte sich eine junge Dame vor unsern Augen in das Dschungelweib des Helden verwandelt mit einem gestickten Bauernleibchen, und ein älterer Herr in seinen Vater mit schneeweißem klingelndem Schnauzbart. (Ich fühlte mit Befriedigung, daß mein inneres Auge und Ohr jetzt schon viel rascher auf den Einsatz, den Dichter und Schauspieler mir gaben, reagieren konnte als zu Anfang des Spiels.) Weib und Vater suchten den Sehnsüchtigen durch treffende Gründe davon abzubringen, das grüne Eiland drüben mit der eisengrauen Öde hüben zu vertauschen. Die treffenden Gründe jedoch wirkten nicht, nicht einmal dann, als zum Überfluß zwei wuschelköpfige Kinder in uns hineingezaubert wurden, die sich an die Arme des Vaters hängten. Der junge Dschungelbauer riß sich von seiner Familie und seinem Hauskubus los, um das Abenteuer zu wagen. Immer wenn die Aktion spannend wurde, erblaßte die Musik, die während der Reden und Monologe zeiteinteilend hervortrat.
    Ich war ziemlich enttäuscht: »Dazu mußte kein Improvisator vom Himmel steigen«, flüsterte ich B. H. ins Ohr, »das ist steinalt: Gegensatz von Stadt und Land, bäuerliche Einfalt und verderbte Gesellschaftskultur. Das hat man im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert bei uns besser gemacht, freilich mit Hilfe des kritischen Verstands …«
    B. H. fühlte sich gekränkt:
    »Warum urteilst du so vorschnell, F. W.«, brummte er zurück, »du kannst all die Nuancen und Obertöne noch gar nicht erfassen.«
    »Unterschätz mich bitte nicht, B. H. Ich weiß zum Beispiel schon jetzt, daß eine junge Schönheit, eine taubengraue Braut wird ins Spiel geworfen werden, die jener stämmige Urwäldler an der mentalen Brustwehr gesehen hat und die seine Gefühle, nicht besonders origineller Weise, hinüberzieht in die andere Sphäre … Da siehst du, ich improvisiere den Improvisator …«
    »Du improvisierst den Improvisator, weil er die taubengraue Braut zu Anfang des Spiels ins Halbbewußtsein des Publikums, somit auch in deines, improvisiert hat. Du kannst nur das erraten, was der Improvisator will, daß du errätst, und du errätst nicht einmal alles.«
    »Groß ist der Djebel«, murmelte ich, worauf Io-Fagòr zu meiner Linken, der diese Worte gehört hatte, tief aufseufzte.
    Von diesem Augenblick an war ich verstört und fühlte mich so unaussprechlich unwohl, daß ich am liebsten den Sympaian verlassen hätte, wäre ein solcher Affront überhaupt möglich gewesen. Ich muß bekennen, daß ich Schlimmeres fühlte als nervöse Überreiztheit. Ich fühlte Angst, würgende Angst, die ich mir nicht erklären konnte. Ich suchte mich selbst mit der Überlegung zu beruhigen, daß dieses astromentale Publikum ringsum, wäre meine Ahnung der kommenden Katastrophe begründet gewesen, dreifach größere Angst hätte fühlen müssen als ich. Oder sollte ich etwa durch meine Audienz beim Hochschwebenden in diesem Augenblick mehr »geweckt« sein als all diese clairvoyanten Zukunftsmenschen hier? Ich schloß die Augen, um dem Sympaian zu entgehen. Es gelang nicht. Das Furchtbare war, daß hinter meinen Augenlidern sich der Sympaian steigerte bis zum Unerträglichen. Da diese ganze Kunst kein äußerer, sondern ein nach innen projizierter Vorgang war, verdoppelte und verdreifachte sich ihre Kraft, wenn man die Sinne abblendete. Ich versuchte meine Gedanken wegzuzwingen. Ich dachte an die, die ich liebe und vor Äonen schon hatte verlassen müssen. Daß sie kein Schicksal mehr hatte, schuf unendlichen Kummer. Ich begann unruhig mich hin und her zu bewegen, wie ein vom Inkubus besessener Schläfer, so daß B. H. mich mehrmals ermahnen mußte. Nicht einmal Lala wollte ich wiedersehen. Ich preßte meine Hand gegen die Augen. Noch lauter wurde die Musik, noch gellender das Stück. Neben allen andern Dingen quälte meine Nerven die Vermutung, daß der improvisierende Autor ein Thema angeschlagen hatte, für das es keine

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