Stern der Ungeborenen
Lösung gab. Mein kritischer Verstand lief der Handlung voraus. Der Improvisator konnte doch auf keinen Fall den Dschungelmann über die astromentale Menschheit siegen lassen. Ließe er ihn aber auch nur in tragischer Schönheit untergehen, so gab er schon damit dem Dschungel recht und dem Djebel unrecht. Die Sache konnte kein gutes Ende nehmen. Es mußte zu einem wüsten Theaterskandal kommen.
Der Dichter auf der rechten Bühnenseite hatte endlich seine taubengraue Braut ans Licht geholt (die in mir und allen anderen schon von Anfang an deponiert war) und gab nun ihr und dem Dschungelhelden eine große Szene. Ich erinnere mich, daß am Ende einer Rede, in welcher der Schauspieler verkündete, das Leben müsse »erneuert« werden (Io-Joels Worte), die Braut ihren schwarzen Haubenhelm abnahm, wobei sich zeigte, daß sie unter diesem Helm kein Spiegelköpfchen, sondern gottverboten hübsches Blondhaar trug. Es war, wie wenn tiefer Glockenschlag der Meeresbrandung mein Ohr erreichen würde. Eine unsichtbar packende Kraft zog mir die Hand von den Augen. Ich blickte ins Publikum. Es hatte sich radikal verändert. Viele Leute erglommen negativ. Die Ränge inmitten des Dämmers waren von diesen schwachen Licht-Erscheinungen erfüllt. Ich verstand sofort, daß dieses Erglimmen der Menschen eine Prävalenz des Astralen in der astromentalen Zusammensetzung bedeutete, ein gefährliches Überwältigtwerden des Geistigen durch schnellere Gefühlsrotation. Nicht einen Augenblick lang erschien mir dieser optische Ausdruck des aufgewühlten Temperaments verwunderlich oder gar absonderlich. Zwei Persönlichkeiten glommen aber nicht nur unter den vielen schwachen Licht-Erscheinungen, sondern glühten wirklich auf wie Sterntransparenzen. Das Wort Glühen ist keine Metapher hier, sondern pure Wirklichkeit, deren Zeuge ich war. Der eine Glühende war Io-Joel, König Sauls Sohn. Er glühte von Kopf zu Füßen in atmendem Hellrot, genau in der Art, wie ein überheizter Kanonenofen glüht. Wer hätte es ihm, dem Ausgekälteten, Ironischen, Überlegenen zugetraut, daß er nichts anderes war als eine Fackel urweltlichen Fanatismus? Ich konnte es genau sehen, wie Io-Joel seine Glutstrahlen dem Heldenspieler auf der Bühne zusendete, dessen Darstellung zu einer Art Raserei aufstachelnd.
Der andere Glühende war nicht weit von mir. Ganz im Gegenteil, er war kaum zwei Schritte entfernt. Ich spreche von Io-Do, dem Bräutigam. Er erglühte genau in denselben verderbendrohenden Farben wie die Feuersäulen am Horizonte des Jupitermoores: braunviolett. Seine Glut hatte weniger Leuchtkraft und wahrscheinlich auch weniger Hitze. Sie schien dafür um so mehr sein Inneres zu verzehren. Noch einer aber war da, der nicht glühte, sondern leuchtete. Io-Fra, der Mutarianer, der bisher zu Füßen des Brautpaares gelegen hatte, doch seit einigen Minuten hochaufgerichtet in der äußersten Ecke der Loge stand. Er leuchtete, und dieses Wort ist ebenso wörtlich zu nehmen wie das hellrote Erglühen Io-Joels und das braunviolette Erglosen Io-Dos. Des Mutarianers Antlitz sandte nämlich milde, bleiche Strahlen aus von demselben Silbergold, mit welchem die alten Meister Heiligenscheine zu malen pflegten. Niemand wird je ein heiligeres Antlitz sehen als das Io-Fras in diesen kurzen Sekunden vor der Katastrophe. Seine Augen waren geschlossen und eingesunken, seine Nase ganz spitzig, sein Mund lächelte in ekstatischer Erwartung. Den Rücken der Bühne zuwendend, begann er langsam seine Arme auszubreiten.
Lala suchte mit beiden Händen ihren Bräutigam wieder aufs Lager zu ziehen. Io-Do aber riß sich mit ganz unmentaler Brutalität los und sprang auf die Bank. Alle in unserer Loge bis auf die Ahnfrau erhoben sich. Io-Do begann sinnlos mit dem lächerlichen Trommelrevolver aus den achtziger Jahren herumzufuchteln, diesem erstklassigen Prachtstück seiner Sammlung und Sinnbild seines historischen Spleens. Wie gut, überlegte ich, daß kein Leben mehr in dem Ding ist, sonst könnte es losgehen, denn der Narr hält den Finger am Drücker. Noch hatte ich diesen beruhigenden Gedanken nicht ausgedacht, als das Ding losging. Es war ein dummer, plumper, übertriebener, altmodisch krachender Schuß mit viel Pulverdampf. Io-Do hatte auf den Dschungelmann gezielt oder auf den rotglühenden Io-Joel. So nahm ich an. Getroffen hatte er den Mutarianer mitten ins leuchtende Antlitz.
Zu den ganz wenigen Dingen, welche die Anfänge der Menschheit überlebt hatten, zählte somit auch
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