Stern der Ungeborenen
die Weitgereisten unter meinen Lesern erwartet haben dürften, im Innern einer barocken Bauernkirche. Es war freilich ein Bauernbarock, das weder meine Leser noch ich kennengelernt haben, gekeltert aus fernsten Kreszenzen der menschlichen Darstellungsgabe, eine Stilmischung, die erst in Jahrtausenden aufdämmern und vergehen und wieder aufdämmern wird. Immerhin aber war’s erkennbar ländliches Barock im angenehmen Gegensatz zur abstrakten Kälte der astromentalen Kirche. Ich sah Heiligenfiguren mit inbrünstig zum Himmel gekehrten Augen und einen golden volutenreichen Baldachin überm Hauptaltar und die Sonne als Monstranz, und alles war so still und einfach und bäuerlich, wie sich’s gebührt.
Lala hielt meine drei Vierteldollar in der Hand:
»Wo darf man hier ein Opfer bringen, bitte?« fragte sie.
Ich wies auf die Sammelbüchse.
Sie trat heran und legte ungeschickt die drei Münzen neben den Schlitz. Woher sollte sie auch wissen, wie man mit Geld umgeht und was man mit Almosen tut? Schweigend gingen wir weiter und blieben im Seitenschiff vor einer ziemlich großen Statue der Madonna mit dem Kinde stehen. Der Künstler hatte, in der überlieferten Verehrung des Dschungelbauern für die ihm unerreichbare astromentale Schönheit, der allerseligsten Jungfrau die Gestalt einer taubengrauen Braut gegeben. Man unterschied genau den ebenholzschwarzen Helm und den charakteristischen Faltenwurf der Schleiergewänder, die der Arbeiter des Zeitalters produziert.
»Ist das die heilige Mutter Gottes?« fragte Lala.
»Ja, die Mutter Gottes mit dem Kinde, Io-La, dieselbe, die als Kunstwerk im Hause Ihres Vaters verehrt wird.«
»Und Sie glauben an sie, Io-Efwe? Sie glauben, daß sie über den Intermundien lebt?«
»Glauben
ist ein falsches Wort, Lala, in meinem Fall. Denn ich
weiß,
daß sie mir geholfen hat, wo immer sie lebt.«
»Dann soll auch sie sehen, was ich Ihnen jetzt zeigen werde«, sagte Lala und öffnete mit einem kleinen entschlossenen Ruck, der stolz war und verschämt und schmerzlich zugleich, ihre beiden Handflächen. Das Licht war düster in dieser Dorfkirche, denn es gab hier nicht einmal matte oder farbige Fenster, sondern nur kleine Scharten unter der Wölbung. Ich sah also zuerst nichts und verstand nicht gleich, was Lala wollte. Erst als ich meine Hände unter die ihrigen legte und sie näher an meine Augen zog, erkannte ich, daß es nicht mehr die leeren Handflächen einer Schaufensterpuppe waren wie die ihrer Mutter, ihrer Ahnfrau und aller Menschen drüben. Über Nacht hatten sich auf diesen wächsernen, aber rosig überhauchten Handtellern einige zarte Striche, Zeichen und Runen gebildet, welche die drei einfachen Grundlinien durchkreuzten und die ehemalige Leere des Schicksalsbildes mit einem neuen rührenden Leben zu erfüllen begannen. Diese wenigen feinen Striche griffen mir ans Herz wie frische Wunden. Es waren nicht die Stigmata des Heiligen, es waren aber die Stigmata des wirklichen Menschen, der schmerzhaft geboren wird, durch ein schweres Fatum geht und schmerzhaft stirbt, ohne diesen drei Unannehmlichkeiten auszuweichen. Über Nacht hatte Lala ihre Stigmata gewonnen, so flach und kärglich sie auch noch waren. Ich wartete beinahe darauf, daß sie jetzt sagen werde: Verstehen Sie nun, Io-Efwe, daß ich mit dieser Schande, die mein Stolz ist, nicht nach Hause gehen kann, sondern im Dschungel bleiben muß beim General, der sein Horn raucht, bis meine Augen tränen? …
Sie sagte glücklicherweise nichts dergleichen, denn solange Lala lebt, wird sie eine astromentale Fee bleiben, kühl, unschuldig und jeder sentimentalen Regung unzugänglich. Wie sehr sich auch die Lineatur ihrer Handflächen vertiefen sollte, sie wird ewig verschieden sein von uns Früheren.
Lala sagte nichts Schwerfälliges. Sie fragte nur mit einem kleinen Lächeln: »Können Sie das lesen, was in meiner Hand geschrieben steht?«
»Ich bin nicht ausgebildet zur Entzifferung dieser Schrift«, entgegnete ich, »aber in groben Zügen werde ich sie wohl verstehn …«
»Und was bedeuten die groben Züge, Io-Efwe?«
Ich legte meine Stirn in Falten und tat so, als sei die einfache Hieroglyphe nicht leicht zu übersetzen. Endlich buchstabierte ich:
»Sie werden glücklich sein durch Unglück und unglücklich durch Glück, liebe Lala …«
»Und ist das schlecht?« fragte sie mit aufmerksamer Stimme.
»Nein, Lala, ich glaube, es ist gut …«
Nach diesen Worten neigte ich mich über ihre zarten, unvergeßlich
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