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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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weißen Säule lehnend, lächelte erwartungsvoll ironisch. Mondschatten, hinter ihm, schlug mit dem Hämmerchen an die Säule:
    »Der Strom der Zeit verdreifacht sein Gefälle.«
    Trotz des Isolierparketts fühlte ich, daß die Senatoren, diese hellvioletten regungslosen Schachfiguren (ich weiß nicht wieviele Türme und Pferdchen), immer erregter wurden. Dumpfes Raunen hörte ich hinter mir. Das Duett des Berichterstatters und des Annalenlesers ging in ein gehetztes Presto über. Mondschatten ließ die Säule stärker tönen:
    »Der Bestand der Welt ist gefährdet. Der Mondgeweihte hüte die Verfassung.«
    Der Angerufene lächelte mild und unaussprechlich wissend.
    »Die Verfassung gibt dem Mondgeweihten das Recht, entweder die Friedensstörer in der orangeroten Flamme verschwinden zu lassen oder sich selbst.«
    Die Unentschlossenheit des obersten Weltcunctators legte sich wie Mehltau auf die Versammlung. (Ist Unentschlossenheit das richtige Wort? War’s nicht ein geheimer Wille, Schluß zu machen?) Ich selbst fühlte mich hin und her geworfen. Ein Einfall nach dem andern, wie die astromentale Welt zu retten sei, durchzuckte meinen Sinn: Den Reiseverkehr still legen, indem man die Zusammenstimmer abberuft. Den Verschwörern allen Proviant aus dem Park des Arbeiters entziehen. All das aber verwarf ich sofort als ungenügend. Immer klarer wurde es mir, der Mondgeweihte mußte die Verbrecher, ohne eine Sekunde zu zögern, körperlich vernichten. Tod ohne Gnade. Einen andern Ausweg gab es nicht. Inzwischen hatte eine Gruppe der hellvioletten Schachfiguren die Höhe der schiefen Ebene erklommen und umgab nun den Mondgeweihten. Ich verstand nicht, was sie ihm zumurmelten, nahm aber an, daß sie seine Tatkraft aufstachelten. Der Geoarchont schenkte der Einflüsterung seiner Räte keine Beachtung, obwohl zweifellos die Frist nurmehr nach Atemzügen zählte. Da spürte ich einen Stich im Herzen. Ich war erkannt. Der Mondgeweihte hob schwach seine Rechte. Er hatte mich aufgerufen. Nun mußte ich vortreten. Mit zusammengebissenen Zähnen überwand ich das steilste Stück der schiefen Ebene, ohne auszugleiten und hinzustürzen. Balancierend blieb ich stehn, vielleicht fünf Schritte von der weißen Säule und dem Weltpräsidenten entfernt. Nun hatte ich das Wort als Unterhändler. Meine Pflicht war es, im letzten Augenblick einen friedlichen Ausgleich zu schaffen zwischen Dschungel und Kulturwelt. Wie immer, wenn ich durch meinen Beruf gezwungen war, vor die Öffentlichkeit zu treten, schwand meine Erregung, und ich fühlte mich positiv und gesammelt:
    »Vor allem, Exzellenz und Notabilitäten«, begann ich mit Festigkeit und Überzeugung, »vor allem und als erstes scheint es mir notwendig, das Wort Dschungel amtlich abzuschaffen. Es entspricht nicht nur nicht der Wahrheit, sondern enthält eine schwere Beleidigung für die Berg- und Stadtbewohner drüben. Ich schlage vor, daß unverzüglich eine Gesandtschaft abgefertigt werde, welche die Abschaffung des Wortes Dschungel feierlich mitteilt, wodurch die Weltregierung auf würdige Art ihre Gerechtigkeit und Freundlichkeit beweist und sich von jedem Angriff distanziert. Das Wichtigste aber: Hüten Sie sich vor jeder Politik der Halbheit, des Beschwichtigens, des Appeasements, wie wir’s zu unserer Zeit genannt haben. Machen Sie allen Waffensammlern, Verschwörern, Aggressoren unverzüglich klar, daß Ihre Antwort auf den ersten verbrecherischen Akt erbarmungslos die physische Vernichtung der Verbrecher sein wird, ungeachtet aller astromentalen Vorbehalte und Errungenschaften …«
    Bei diesen Worten ungefähr bemerkte ich, daß ich zwar eine kluge und wohlbedachte Rede hielt, daß aber diese Rede nur in meinem Innern erklang und äußerlich überhaupt kein Ton zu hören war. Weder eine physische noch eine nervöse Hemmung hinderte mich am Sprechen, auch kein Stimmritzenkrampf oder eine andere Unfähigkeit, Laute zu produzieren. Ich sprach völlig normal, doch was ich sprach, ertönte nicht. Die hellvioletten Schachfiguren machten verlegene Zeichen, ein paar kamen näher an mich heran, andere hielten verzweifelt die hohle Hand an ihr Ohr. Der Mondgeweihte lächelte wissend, als habe er nichts anderes erwartet. Ich versuchte zu schreien und ich schrie auch aus vollem Halse. Dieses Schreien aber, obwohl es mir beinahe wehe tat, ertönte ebensowenig wie mein Flüstern. Man wird sich wundern, daß all diese astromentalen Würdenträger ringsum (viele Habitues des Sympaians

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