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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Unvorsichtigkeit begangen, die Worte »wie ein Phönix« niederzuschreiben. Nein, der Opfertod des Namenlosen und Unidentifizierbaren war das Gegenteil der Selbstverbrennung des Sonnenvogels Phönix, welche nach Urslers erstem grundlegenden Paradoxon dann eintritt, wenn die strahlende Energie eines Lichtgestirns größer ist als sie selbst. Nicht in der Jubelflamme der Sonne hatte der Namenlose sich selbst verbrannt, weil er andere nicht verbrennen konnte. Ihn hatte die dunkelgefärbte Flamme verzehrt, in der einst der Mond vergehen wird, eine Flamme der müden Erkenntnis, der Vergeblichkeit und der Schwermut.
    Das Haus war voll bis unters Dach, auf dem der bleiche Garten wuchs. Die ganze Familie Io-Fagòrs, auch entferntere Glieder schienen bei ihm Schutz zu suchen. Der Brautvater hatte dabei auch seinem Gegenschwieger, dem lieben Herrn Io-Solip und den seinigen Obdach geboten, um ihnen dadurch zu verstehen zu geben, daß er Io-Do’s schändliches Treiben für nichts Schlimmeres halte als die Flucht Lalas, und daß er im Bräutigamsvater nichts anderes sähe als einen Bruder im Unglück. All das Reden, Raten, Rauschen, Rascheln, Tuscheln und Flüstern im Hause machte mir den Kopf schwindlig, denn ich verstand nur wenig von allem.
    Endlich war ich zu meinem Glück allein mit B. H. in dem kleinen Salon neben dem Speisesaal, wo es anachronistische Sitzgelegenheiten gab, und wo wir beide schon einmal zusammengesessen hatten wie fossile Insekten im Bernstein. Ich spürte sofort, daß der Wiedergeborene von Io-Fagòr und dem ganzen Clan ausgesandt worden war, um mit mir zu sprechen.
    »Nun B. H., was steht noch von der Welt?« seufzte ich.
    Meines Freundes Gestalt zitterte, ja wackelte geradezu von besorgniserregender Verlegenheit. So hatte ich ihn nie gesehn. Nicht einmal in seinen nervösesten Augenblicken. Unsere Hausfreunde schienen ihm eine saubere Last aufgebürdet zu haben.
    »Das wäre es nicht«, erwiderte er, seine Lippen beißend, »man hat die Dschungelleute sträflich unterschätzt. Sie kämpfen nicht mit so albernen Waffen wie die mentalen Lausejungen. Vor Fernschattenzertrümmerern, ja selbst vor den Existenznegatoren der letzten Kriege, die klein sind wie Glaserdiamanten, könnte man das nackte Leben retten, wenn man in gewissen Räumen der Lithosphäre Unterstand sucht. Man sollte es aber nicht für möglich halten, deine Konstantins und ihre Kriegsschulen in den Dschungelstädten haben eine supermentale Artillerie entwickelt. Sie schießen mit psychischen Geschossen, und weder ich noch du können wissen, ob wir nicht schon getroffen sind …«
    »Das mit der psychischen Artillerie weiß ich längst«, brummte ich und war voll Ärger, weil ich das Wesen dieser Artillerie in Bergstadt nicht erforscht hatte. Ich fragte: »Was für Geschosse unterscheidet man?«
    »Sie schießen mit Depressionen und Melancholien«, betonte B. H. bitter jedes Wort. »Ich möchte dich aber ersuchen, ruhig zu bleiben, F. W. Es ist gerade in dieser Gefahr von entscheidender Wichtigkeit, ruhig zu bleiben.«
    »Ich aber möchte um genauere Aufklärung gebeten haben«, brach ich los. »Das ist wohl das Geringste, was ich fordern darf.«
    »Nur die Ruhe hilft uns, alter Junge, nur die Ruhe«, versetzte B. H. gequält. »Soll ich dich mit psychochemischen Technizismen langweilen? Es ist kein Wunder dabei. Sie haben dem Djebel dies und dem Wintergarten das abgeguckt und in jener aggressiven Richtung ausgebaut, die wir völlig vernachlässigt haben. Das Schlimme ist, daß der Streukegel der Depressionen und Melancholien keine Grenzen kennt, das heißt überall wirksam ist, wo er Menschen begegnet, in den Intermundien oder im Innern der Erde.«
    Und er fügte ganz leise hinzu: »Die ersten Verwundeten wurden schon eingeliefert, und ihre Zahl wächst von Minute zu Minute …«
    »Ich fürchte mich nicht«, erklärte ich barsch.
    »Sag das nicht, mein Lieber«, warnte B. H. mit aufgehobenen Händen. »Solch ein wohlgezielter Volltreffer von konzentrierter Depression ist schlimmer als zehn Bauchschüsse, Gasverätzungen und Brandwunden dritten Grades. Dagegen sind Cholera, Darmverschlingung, Hundswut, langsames Ersticken und Gebratenwerden die reinsten Champagnergelage.«
    »Du sprichst doch von Depressionen«, rief ich, »von geistigen Verwundungen? Schießt Konstantin Wahnsinn zu uns herüber?«
    »Das ist es ja gerade«, pfiff B. H. »Konstantins Depressionsgranaten sind kein Wahnsinn. Gegen Wahnsinn gibt es Mittel genug, und

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