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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Junggesellen, von denen eine ganze große Menge vorhanden war. Düster und nervös schritten diese Hauschargen auf und ab, ohne miteinander zu sprechen. B. H. hatte die Augen geschlossen und schlief im Stehn oder gab vor zu schlafen, vielleicht um meinen Fragen auszuweichen.
    Da die Menschen schwiegen, sprachen die Hunde. Es gab deren vielleicht sieben in der camera caritatis, darunter selbstverständlich auch unsern Sur. Und hier ist endlich der Augenblick gekommen, um die längst schon erbitterten Hundefreunde unter meinen Lesern mit einigen Zeilen zu versöhnen. Es soll wenigstens der Versuch dazu unternommen werden. Zuvörderst: Ich selbst bin alles eher als ein Hundefeind. Wie oft habe ich in die trauergroßen Augen unserer Schäferhunde und irischen Setter geblickt und mich in die starre Tiefe der Tierseele versenkt, daß mir das Herz zu klopfen begann. Für mich war jeder schöne Hund, der unser Leben teilte, so etwas wie der verzauberte Prinz des Märchens. Das kam daher, weil die Tiergestalt guter Hunde im Widerspruch stand zum geistig-seelischen Ausdruck ihrer Augen. Es war ein Zuviel von Ausdruck da, ein liebezitternder Kampf um Aufmerksamkeit, Konzentration und Erinnerung, der die tierische Natur überstieg, sie zugleich verriet und verleugnete. Der Mensch hatte auf Erden ein Wesen gefunden, das Liebe zeigte, ohne unbequem zu sein. In seiner unerschöpflichen Sucht, als Herr geliebt, verehrt, vergottet und nachgeahmt zu werden, zog der Mensch dieses Wesen an sich, fütterte, pflegte, belehrte es und machte es so zum hoffnungslosen Renegaten des Tierreichs.
    Meine lieben Hundefreunde, auf die Gefahr hin, daß mein Versöhnungsversuch scheitert, will ich es offen sagen: Der Hund ist eine der Sünden des Menschen. – Ist nicht das Maß der Liebe und Fürsorge, das in uns lebt, so lau und so gering, daß wir es nicht an bequeme Objekte wenden sollten, dieweil wir es den unbequemen Subjekten neben uns entziehen? Die Antwort auf diese Frage gibt die Weltgeschichte der Zukunft. Die übertriebene Kynophilie ging nicht nur schlecht an den Menschen aus, sondern mehr noch an den Hunden. Der Mensch hat im Laufe der Zeit den Hund korrumpiert, indem er ihn um sein wahres Wesen betrog und durch seine beständige Nähe zum Kopisten machte. Die vollkommen logische Frucht der Entwicklung war der plappernde, der naivtuende Hund, kurz Sur, dessen Charakter und Gehaben die Hundefreunde unter meinen Lesern abstößt. Ich gestehe aber zuletzt, daß ich das Pech hatte, in Sur ein besonders affektiertes Exemplar kennenzulernen. Merkwürdig genug war’s, daß die Menschen das Sprechen der Hunde überhaupt nicht beachteten. Auch jetzt in der camera caritatis schenkten sie ihnen keine Aufmerksamkeit, obwohl die Hunde die einzigen waren, die ein Gespräch führten.
    »Sur ist sehr, sehr treu«, kläffte der unsere, am ganzen Leibe zitternd, »sehr, sehr treu …«
    »Halt die Schnauze«, murrte im Brummbaß ein großes Tier, in dem sich trotz der uniformen Hundegestalt etwas stämmig-doggenhaftes erhalten hatte: »Uns geht’s nicht anders …«
    »Was geht eigentlich vor, was geht vor«, quäkte ein dritter, dumm neugierig. Sein Schwanz war kurz gestutzt und wedelte prestissimo wie der eines Rattlers. Ein vierter schloß sich dieser albernen Fragerei an, so aber, als wisse er nicht, was er rede, sondern unterliege nur dem leeren Drang, Worte nachzuplappern wie ein Papagei:
    »Was ist denn los für Schipps … was ist denn los für Schipps … was ist denn los …«
    »Kretins alle miteinander«, brummte der ehrliche Brummbaß, – »was ist denn los für Schipps … Ans Leben geht’s …«
    »Geht’s wirklich ans Leben«, ließ Sur ein fröstelndes Winseln vernehmen. »Papachen, Mamachen, Sur glaubt’s nit …«
    Die andern Hunde, bis auf den doggenhaften, stimmten jetzt im Chorus in Surs fröstelndes Winseln ein. Erst ein donnernder Scheltruf machte sie ruhiger, das heißt sie jammerten leiser und schlichen nervös und mit hängenden Ohren zwischen den Menschen umher.
    Ich aber konnte nichts mehr beobachten, weil ich vollauf damit beschäftigt war, eine Art von Seekrankheit niederzukämpfen. Ich preßte das Taschentuch gegen meinen Mund, denn es war mir, als müßte ich mich erbrechen. Kein Wunder, wenn man bedenkt, daß wir feuerflüssige Schichten oder elastisches und plastilinhaltiges Gestein auf unserer Niederfahrt durchsausten.
    »Wir bewegen uns ja«, stieß ich hervor und weckte damit B. H. aus seinem

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