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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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mich der Anblick der dichter gesäten Sterne und die Autorität des Hochschwebenden belehrte, daß unser Universum sich atmend ausdehnt und zusammenzieht, so belehrte mich der Anblick und meine körperliche Präsenz hier unten, daß es im Erdinnern zumindest
einen
Hohlraum von enormen Ausmaßen gibt (wahrscheinlich aber mehrere) und daß dieser Hohlraum mit atembarer Atmosphäre und mit einem milchigen Zwielicht gefüllt ist, hell genug, um Menschen und Dinge deutlich zu unterscheiden. Zwei Fragen könnte ich nur schwer beantworten. Die erste: Hat es solche Hohlräume im Erdinnern schon vormals gegeben, oder wurden sie erst durch die wachsende Abkühlung des Planeten geschaffen? Ich habe niemals in Erfahrung gebracht, wie die sechsstellige Jahreszahl genau lautete, in der ich drei Tage durchleben durfte. Das »Elfte Weltengroßjahr der Jungfrau« war eine zyklische Bestimmung und umfaßte vermutlich einen ganzen Äon, unter welchem die antiken Völker ungefähr sechstausend Jahre verstanden. Wenn ich andererseits immer von hunderttausend oder von mehr als hunderttausend Jahren spreche, während welcher ich tot gewesen bin, so hat sich diese Bezeichnung in meiner Unterhaltung mit B. H. eingebürgert, ohne eine exakte Zahl vorzustellen. Doch wie immer jene sechsstellige Zahl der Erdumläufe um die Sonne lauten mochte, im Leben eines Himmelskörpers bedeutete sie einen schieren Nu, einen halben Atemzug, währenddessen die Abkühlung keinen merklichen Fortschritt gemacht haben konnte, es sei denn, wir hätten es mit unbekannten Nachwirkungen der Sonnentransparenz zu tun. Ich selbst aber neige mehr dazu, jene Hohlräume im Erdinnern für uralte Tatsachen zu halten, deren Entstehung weit vor den wirklichen Anfängen der Menschheit liegt. Alle Mythologien, die wir kennen, berichten von Reichen unter der Erdoberfläche. Und Mythologien, das wissen auch die nüchternsten Geschichtsschreiber, sind keine leeren Phantasmen, sondern visionär geschaute und gedeutete Wirklichkeiten.
    Die zweite Frage lautet: War der Tartarus, der den Wintergarten der astromentalen Menschheit umgab, natürlich oder künstlich erleuchtet und gelüftet? Es ist das unverzeihliche Versäumnis eines schlecht geschulten Reporters, wie ich es bin, daß ich über diesen wichtigen Umstand keine Erkundigungen eingezogen habe. Man bedenke aber die seelische Verfassung, in der ich mich befand, die dumpfe Erregung, die meinen dubiosen, einer neuen Auflösung entgegengehenden Körper durchzitterte, und meine Unterlassung wird begreiflicher erscheinen. Wenn ich auch keinen Beweis dafür besitze, so möchte ich dennoch frei heraus behaupten, daß ich Lüftung und Erleuchtung der gewaltigen Erdkammer für Menschenwerk halte. Die Zivilisation hatte schließlich Größeres geleistet, als Licht und Luft einem Orte zuzuführen, der zwei- oder dreihundert Kilometer unter der Oberfläche lag.
    Auch dieser Begriff »zwei- oder dreihundert Kilometer« ist wissenschaftlich durch nichts gerechtfertigt, sondern eine instinktive Vermutung meines Zeit- und Raumgefühls. Leider hatten wir in der »camera caritatis«, die uns fast unmerklich hinabbrachte, keinen chronosophischen Elementarlehrer bei uns, noch solche Antworter wie Io-Hol und Io-Rar, aus deren teils mechanischem, teils unsicherem Schülergestammel ich immerhin einige Aufklärung hatte saugen können. So reime ich mir denn auf eigene Faust, d.h. auf Grund eigener Gefühlserfahrung zusammen, daß unter der Apfel-, oder übertrieben gesagt, unter der Eierschale, die man Erdkruste nennt, nur eine ziemlich dünne und oft unterbrochene Schicht von schmelzflüssigem Magma liegen kann, schon deshalb, weil so wenig Hitze nach oben versendet wird. Anderenfalls müßte ja auf der Schale jenes Bratapfels, welcher die Erde ist, jedes Lebewesen sofort zu Dampf verkochen, und nie und nimmer hätten sich auf diesem glühheißen Ei die bekannten Eiszeiten mit ihren wandernden Gletscherkontinenten etablieren können. Letzteres ist eine ebenso einfache wie schlüssige Überlegung, und auch sie führt zu der Annahme, daß jenes Höllenfeuer, welches die Vulkane versorgt, nur eine sehr schwache Lage bilden kann zwischen verfestigten Gesteinsschichten von wechselnder Elastizität.
    Erst tief, tief unter diesen mag der liquide oder gasförmige Kern von Magneteisen liegen, der das innerste Herz der Erde ausmachen soll. Meinem »Gefühl« nach befand sich also die wundersame Welt des Hohlraums zwar unterhalb des Lavastockwerks, jedoch noch

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