Stern der Ungeborenen
unbequem herauskommt.
In »grauer Vorzeit«, zu welcher bekanntlich meine astromentalen Freunde das Jahrhundert rechnen, aus dem ich komme, hatte der Mensch bereits ein erstaunlich reiches Wissen über alles »Äußere« gesammelt, während er über alles »Innere« herzlich wenig wußte. Schon Sumerer und Chaldäer besaßen einige nicht nur geistige, sondern naturnahe Erkenntnis über die Planeten im Kleinen Intermundium und über die Lichtgestirne im Intermundium ersten Grades. Mein Bericht über unsern Ausflug ins Graue Neutrum und meinen Aufenthalt auf Johannes Evangelist und Petrus Apostel würde sie in kein besonderes Erstaunen versetzt haben, und in die drei Lamaserien der Chronosophen hätten ganz bestimmt babylonische, ägyptische und indische Priesterschüler weit besser hineingepaßt als Studenten von Heidelberg, Oxford oder Harvard zwischen 1920 und 1940 .
Was nun das Innere anbelangt, so liegt die Sache anders. Vorerst: Unter diesem Innern verstehe ich durchaus nichts Psychisches, Geistiges oder gar Mystisches. Ich will damit nur all das bezeichnen, was diesseits, das heißt innerhalb unserer Haut liegt. Da wird man mir aber ehrlich zugeben müssen, daß wir Kinder des zwanzigsten Jahrhunderts hinsichtlich dieses Innern wahrscheinlich noch sehr unbelehrt umhergingen, war doch kaum erst ein historischer Augenblick verweht, seit der weise Engländer Harvey um 1650 den Kreislauf des Blutes entdeckt hatte. Man möge es nur ausdenken, in meiner eigenen Jugend wußte die medizinische Welt beinahe noch nichts von Drüsensekretion, vom Chemismus der Lebenstätigkeit und von den elektrischen Ladungen des Nervensystems. Was für das engere Innen des Körpers gilt, das gilt nicht minder für das weitere Innen, das unser Erdplanet vorstellt. Wir zuckten nicht davor zurück, verwegene Berechnungen über die fremden Universa der Sternnebel anzustellen, brachten es aber kaum zuwege, drei Kilometer tief ins Innere der Erde vorzudringen. All das beweist mit großer Schlagkraft, daß der Mensch viel weniger Scheu vor seiner Außenwelt als vor seiner Innenwelt empfindet und daß er viel furchtloser dem Fernsten ins Auge blickt als dem Nächsten, das ist die Unendlichkeit, die er selbst umspannt.
Wer die Richtigkeit dieser Überlegung anerkennt, wird es begreifen, daß ich glücklich bin, nicht nur das Niedere Intermundium oberhalb unseres Planeten besucht zu haben, sondern auch das Innere dieses Planeten selbst. Die künstlerische Konvention empfiehlt zwar, lieber von unten nach oben aufzusteigen als umgekehrt. Wie so oft aber steht meiner Freiheit als Epiker die Gebundenheit des Reisebeschreibers im Wege. Die Ereignisse führen mich, nicht ich sie. Der gerechte Leser wird am Ende entscheiden, ob die Antiklimax der Richtung auch eine der Spannung gewesen ist.
Was hier folgt, ist der Bericht eines Augenzeugen und keines Geologen. Ich werde meinem unwissenschaftlichen Prinzip, das sich im Kleinen Intermundium bewährt hat, hier in dieser gewaltigen Erdkammer, wo wir uns augenblicklich befinden, nicht untreu werden, obwohl es leichter ist, das Kometenturnen in freisten und fernsten Räumen zu beschreiben als das Abenteuer im stygischen Lokal. In der Schule hatten wir gelernt, daß die Temperatur im Innern der Erde von Kilometer zu Kilometer je um 30 Grad Celsius zunimmt, wobei es sehr wenig Unterschied macht, ob man unterm Nordpol oder unterm Äquator in die Tiefe geht. Demgemäß würde der Siedepunkt des Wassers schon am Ende des dritten Tiefenkilometers erreicht sein und sechzig Kilometer darunter bei 1800 Grad Celsius der Schmelzpunkt der Basalte. Die Wirklichkeit schien dieser aus der Erfahrung geschöpften Ansicht recht zu geben. Unzählige Vulkane zeugten für sie, die den feuerigen Schmelzfluß des Erdinnern als Lava in die Luft schleuderten, nicht anders als die Geyser, die ihre hastig-dichten Dampfwolken zum Himmel pafften. Die vulkanischen und tektonischen Beben mahnten uns daran, daß die feste Erdkruste, auf welcher wir unsere geschichtlichen Tragödien und Komödien spielen, nicht etwa mit der Schale eines Eis verglichen werden kann, sondern bestenfalls mit der eines Apfels.
Ich erhebe mich jetzt nicht mit der ganzen Vermessenheit des Laien, um zu behaupten, die obige Theorie sei unrichtig. Ganz im Gegenteil. Mein Erlebnis auf der ungefestigten Oberfläche von Petrus Apostel sagt mir, daß sie richtig ist. Das einzige, was ich erfahrungsgemäß zu berichtigen habe, sie ist nicht vollständig. So wie
Weitere Kostenlose Bücher