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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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ebenbürtigen Biologen nicht an die Seite setzen. Gleich beim Betreten des ersten Glashauses reichte uns der Animator eine Handvoll dieser schwarzen, feuchten, dicken Erde, welche die Eigenschaft hatte, den Körper, der sie berührte, nicht zu beschmutzen. Im Bade hatte ich sie in verschlammter und gewärmter Form kennengelernt; jetzt, da ich sie in der Hand hielt, war sie angenehm kühl und erzeugte in mir das Verlangen, sie auf meine Stirn zu legen, wo der Kopfdruck sich wieder bemerkbar machte.
    Die Treibhäuser waren viel heller als der Raum draußen. Ein besonders zartes Frühlingslicht erfüllte sie. Man hätte meinen können, ihr Zweck sei der übliche Zweck aller Glashäuser, Blumen zu züchten. Im Gegensatz zu den astromentalen Hausgärtchen der Oberwelt sah ich hier nicht nur die acht bis zwölf Spezien der Wachs- und Zuckerbäckerflora, sondern eine reiche Skala halbbekannter und unbekannter Blütengewächse aller Arten, sogar so etwas wie Goldregen und übergroße Azaleen und blühende Kakteen in unglaublich matten Farbkombinationen. Doch gerade diese Blütenpracht rief in meinem altertümlichen Sinn jene Gedankenverbindung hervor, welche die Direktion des Wintergartens am schärfsten zurückgewiesen hätte: Die Idee eines Friedhofs.
    Die Glashäuser des Wintergartens waren das Gegenteil eines Friedhofes. Sie führten das lebendige Sein unnachahmlich milde in eine Form des Nichtseins herüber, von der keine häßliche Spur übrigblieb. Dennoch konnte ich mich nicht dagegen wehren, daß mich das Ganze hier mitsamt den schönen Blumen an einen Friedhof erinnerte. Die einzelnen der Rückentwicklung geweihten Personen waren nicht offen zu sehen. Sie schlummerten zu beiden Seiten des Weges in – und wiederum verführt mich die plastische Erinnerung zu einem funèbren Vergleich –, sie schlummerten in einer Art von Wiegengräbern. Sie schlummerten freilich wirklich, hochbeschäftigt und rasch atmend. Die Wiegengräber bestanden aus denselben Holzwannen oder Butten, in welchen wir ein »Moorbad« genommen hatten. Sie waren mit Humus aller Mischungen und Grade angefüllt und ziemlich tief in den Boden der Glashäuser eingelassen, so daß sie das Niveau nicht überragten. Jedes der Wiegengräber war sogar durch einen Hügel verschlossen. Nur bestand der Hügel nicht etwa aus grünem Rasen, sondern aus einem grauweißlichen Haufen von etwas, das man ebensogut als Eiderdaunen, Flaumfedern oder frischgezupfte Baumwolle bezeichnen konnte. Zwischen den einzelnen Schlafwannen wuchsen die Blumen, deren Duft den Grundgeruch vertrieb, den ich am Fenster unseres Zimmers eingeschnuppert und als »Babywindeln« diagnostiziert hatte. Hier unten entpuppte er sich als ausgesprochener Ammoniakgeruch.
    Wir bewegten uns auf einem langsamen Trottoir roulant zwischen diesen Lagerstätten hin, der Animator an der Spitze, Badediener Nummer Eins und Zwei als Nachhut. Ein sehr unbehagliches Gefühl der Gefangenschaft quälte mich, während B. H. wiederum mit allem einverstanden zu sein schien und den Erklärungen des Animators beifällig-schlaftrunken lauschte. Wir begegneten nur wenig Weißbekittelten und überhaupt keinem Laien. Gewöhnlichen Zeitgenossen war ein Besichtigen dieser geheimen astromentalen Institution nicht gestattet. Anstatt mich aber hochgeehrt zu fühlen, war ich zerstreut und litt unter dem Wesen unseres Führers. Dieser hatte sich immer mehr zu einem Gelehrten- oder Medizinertypus entwickelt, den ich aus Erfahrung wohl kannte, aber nicht liebte. Die Bezeichnung »radikaler Spezialist« sagt zu wenig, wenn man unter ihr jene Art von Ärzten versteht, die alle Leiden »aus einem Punkte« kurieren, entweder aus der Leber oder aus der Bauchspeicheldrüse oder aus den Zahnwurzeln, ob diese gesund sind oder nicht. Es sind Leute, die, von einer fixen Idee besessen, ihren starren Scheuklappenblick nur auf einen einzigen Punkt richten, wobei ihnen der Patient hauptsächlich dazu dient, ihre fixe Idee zum Triumph zu führen. Radikaler Spezialismus ist die Erscheinungsform menschlicher Einseitigkeit und Engstirnigkeit auf dem Gebiete der Wissenschaft. Solch ein Spezialist durch und durch schien mir der Animator zu sein, ein Fanatiker seines Faches, ein Troll dieser seltsamen Glashäuser. Er hatte hier unten sogar seine diplomatische Weltläufigkeit verloren. Er war ganz und gar vom Technischen beherrscht, das er beherrschte. Er lispelte seine Erklärungen in einem merkwürdig feierlichen Ton mit verlorenen Augen,

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