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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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am Ende doch heil entkommen war. Ich dachte hier aber nicht an die Hilfe von Melangeloi, die im Kleinen Intermundium eher zu erwarten war als hier im Hohlraum des Wintergartens. Das Merkwürdige an diesem Wintergarten samt seiner grauen Dämmerlandschaft in der Erdgebärmutter war die schwere, die dichte, die enorme Wirklichkeit und schleppende Folgerichtigkeit, die uns hier umschloß. Ich mußte den retrogenetischen Humus und seine erstaunliche Wirkung, wie die Heilwirkung von Radium zum Beispiel, für eine Praxis halten, die auf naturwissenschaftlichen Forschungen beruhte, die ich noch nicht kannte. Sie entzog sich meinem Verständnis in viel geringerem Maße als etwa das Reisegeduldspiel, das Raumtauchergewand, die Überwindung kosmischer Strecken während einer Schulstunde usw. Ich wußte in meinem schweren Kopf, daß wir uns hier unten nur durch einen guten Plan und eine übermenschliche Anstrengung würden retten können. Für beides hielt ich mich ungeeignet, ganz zu schweigen von B. H. in seiner Verfassung.
    Der Animator hatte von Leuten gesprochen, die ihm jahrelang Widerstand geboten hatten, und außerdem die Bemerkung gemacht, mit mir werde es nicht leicht sein. Hierin fühlte ich eine hoffnungsvolle Aussicht. Es war unbedingt notwendig, das Mißtrauen unseres Führers zu zerstreuen und sein Wohlwollen bedingungslos zu erwerben.
    Als er daher den lieben Herrn Io-Solip wieder zurückbestattet hatte, sagte ich, mir die Augen wischend:
    »Da kann man wirklich gerührt sein, cher Maître, denn Sie haben recht, es gibt nichts Größeres … Und nun nehmen Sie keine Rücksicht auf unsere Kopfschmerzen, sondern zeigen Sie uns alles, alles …«
    Er ließ uns sogleich von dem Elixier reichen, das die Badediener im Kruge mittrugen. Ich bemerkte, daß der Trunk mich jedesmal erfrischte. Und so sahen wir in einer langen mühsamen Zeitspanne, für die es hier unten kein Maß gab, noch so manches Wunder des retrogenetischen Humus. (Keinen Augenblick hatte ich übrigens das Gefühl von Wunder.) Ich sah in zahlreichen Glashäusern der meso- und endodermatischen Zonen Embryos aller Größen und aller autobiologischen Zeitstufen, männliche und weibliche, die sich aus alten Leuten in diesen Status zurückentwickelt hatten. – Glücklicherweise geschah nicht, wovor ich zitterte, ich begegnete keinem meiner alten Freunde mehr. – Vom völlig ausgebildeten, rückgebildeten, pränatalen Kinde mit entzückend modellierten Händchen und Füßchen, sah ich alle Arten von Embryos bis zum raupenhaften Häkchen mit dem großen, gesichtslosen, widderförmigen Kopf im durchscheinenden Fruchtsack. Die Nabelschnur, die von diesen winzigen Menschentierchen, zu dem die Greise reduziert waren, durch die schwarze Erde hindurch zur zentralen Nährstelle führte, war zuletzt ein kaum haardünner Schlauch. Der Monolog des Animators riß nicht ab. Ich schien sein Mißtrauen eingelullt zu haben. Er hatte ein begeistertes Ohr gefunden, und zwar das Ohr eines Menschen aus dem Altertum, der noch ganz unaufgeklärt war und doch intelligent genug, um ihn nach einigen anfänglichen Mucken zu verstehen.
    »Ja, die Zellteilung«, sagte er, nachdem er eine kleine Menschenraupe zugedeckt hatte, »die üppige, quellende, brodelnde Zellteilung, sie ist das weibliche Geheimnis der Welt. Der Mann gibt nur den Anstoß, die Idee, und so haben in der alten Welt, wie Seigneur mir bestätigen wird, die Weiber gearbeitet und nicht die Männer …«
    »In gewissen Ländern war es so«, sagte ich, um nicht zu widersprechen.
    »Ich meine nicht das«, schüttelte er den deformierten Langschädel. »Die Arbeit des Mannes ist Lodern und Glühen, wovon Asche übrigbleibt. Die Arbeit des Weibes ist Grünen, Blühen, Fruchten, Faulen, wovon Humus übrigbleibt, welches Wort auf Homo hinweist …«
    »Und wann wird im Wintergarten diese weibliche Arbeit der Zellteilung unterbrochen«, fragte ich, »das heißt, wann hat die Rückbildung ihr Ende erreicht?«
    »Darüber, Seigneur, wäre ich eigentlich verpflichtet zu schweigen, verfassungsmäßig …«
    »Mir gegenüber können Sie keinen Verfassungsbruch begehen, Maitre Animator«, hackte ich in die Kerbe. »Stehe ich nicht außerhalb der Verfassung? Sie sollten immer im Auge behalten, daß ich exterritorial bin …«
    Diese formalistische Bemerkung schien auf ihn einen gewissen Eindruck zu machen, war er doch nicht nur Gelehrter, sondern auch Beamter. Er sah mich mit seinen vortretenden Augen aufmerksam an. Dann

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