Stern der Ungeborenen
empörend. Ich werde die Herren sogleich zu Richtern aufrufen. Sie werden mir attestieren, daß unsere Milchammen die schönsten, üppigsten, wohlgebautesten Frauen der Welt sind. Wir alle sind ja Minstrels und Muttersöhnchen und erschrecken nicht vor echten, ausgebildeten weiblichen Zellteilerinnen wie die Päderasten …«
Bei diesen Worten gab der Animator dem laufenden Band, auf dem wir uns bewegten, unvermittelt ein schnelleres Tempo, so daß B. H. und ich beinahe hingepurzelt wären, aber wir fielen nur einander in die Arme:
»Munter, B. H.«, zischte ich meinem Freunde zu, »es wird alles gut werden.«
»Du störst mich«, lallte er wieder ganz schlaftrunken, »deine Vitalität ist ekelhaft.«
Azaleen, Kakteen, Wiegengräber, Glashäuser, Weißbekittelte, große Erdhaufen und Gott weiß was noch flitzten an uns vorbei, ehe unsere Fahrt wiederum halt machte. Wir erkannten an der Dämmerung, am leisen Nieseln vom hohen Wolkenhimmel und an der erträglicheren Temperatur, daß wir uns im Freien befanden. Vor uns erhob sich ein runder sanfter Hügel, eine Böschung und nicht viel mehr. Ob diese runde Kuppel die Form einer Frauenbrust hatte, das möge dahingestellt bleiben. Viel wichtiger war die herrliche Trauerweide, die größte, die ich je gesehn, welche gewissermaßen aus der Brustwarze des mattgrünen Hügels emporwuchs und ihn mit ihrem langen, silbrigen Haar weit umschleierte. Die jungen Frauenleiber, die auf dem Hügel lagerten, leuchteten beinahe weiß im Nachttag.
Der Animator hatte uns nicht belogen. Die Frauen unter der mächtigen, weitausladenden Trauerweide auf dem Hügel, den wir nun langsam und mit schweren Knien erstiegen, waren von großer Körperschönheit, für die sich jedoch nicht leicht die rechte Beschreibung finden läßt. Sie waren viel voller und üppiger und schienen auch höher gewachsen zu sein als die zierlichen astromentalen Mädchen. Ich wußte aber sofort, ohne daß ich erst des Animators Belehrung abwarten mußte, daß sie als zierliche astromentale Mädchen in den Wintergarten gekommen waren und sich erst hier unten zu solch anlockender Fülle und stattlicher Höhe entwickelt hatten. Auf ihren wohlgeformten Gesichtern – die meisten von ihnen trugen turbanartig gewickelte Kopftücher – lag aber eine schlampige Schwermut, eine ins Leere starrende Gleichgültigkeit, ein teilnahmsloses Vegetieren, das durch die matten Versuche zur Koketterie beim Anblick von uns Männern nur noch beklemmender hervortrat. Ich mußte an die Hurenhäuser arabischer Altstädte denken, obwohl der Vergleich irreführend ist, denn diese Frauen unter der Trauerweide hier erschienen unsern Augen als gepflegt und reizvoll.
Der Animator nahm mich zur Seite:
»Man begreift dort oben lange nicht mehr das Wunder der Fruchtbarkeit«, lispelte er. »Da sehen Sie nur diese Mädchen an. Sie bringen es alle fertig, ein unbefruchtetes Ei in ihrem Schoß selbständig bis zum sechsten Monat zu entwickeln, diese braven parthenogenetischen Zellteiler …« Und er schnalzte anerkennend mit der Zunge.
Nach diesen Worten war es mir klar, daß die vierzig, fünfzig nackten Frauen, die in der Brutluft des Uterus terrae matris hier lagerten, die Ausgestoßenen, die Parias der astromentalen Zivilisation waren. Man hatte sie in den Wintergarten verschickt, wie man einst in Rußland die Verbrecher nach Sibirien in die Kátorga verschickte. Ihr Verbrechen war freilich nichts anderes, als daß sie biologisch noch unter den »Kinderreichen« standen, jener Plebs, die zwei, drei, vier und in krassen Fällen auch fünf Sprößlinge großzog. Diese hier mochten noch darüber hinaus nicht nur in ihrer Fruchtbarkeit, sondern auch in ihren Trieben zügellos gewesen sein. Die Kultur (»Entfernung von Gott durch die Zeit« nach dem Großbischof) entledigte sich ihrer als einer Schande, von der man nicht sprach und deren man nicht einmal gedachte. Wie aus dem tragischen Schicksal dieser Mädchen wuchs die herrliche Trauerweide mit ihrem überhängenden Silbergezweig.
Das Leben im Hohlraum veränderte alle, die dem Wintergarten und seinem Zwecke dienten. Die Wärme, der Druck, die chemische Zusammensetzung der Luft, des Wassers und unbekannte Gründe sonst hatten auch aus den ausgestoßenen Mädchen das gemacht, was sie waren, eben diese »Milchammen«. Da lagerten sie und räkelten sich, nichts als träges, üppiges, ab- undantes Wuchern. Und dennoch, obwohl der Hügel der Trauerweide gewiß den alleräußersten Gegensatz
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