Stern der Ungeborenen
zum Rosengarten der Jungfrau bildete, erfüllte mich auch diese Seite des Weiblichen für einen Augenblick mit ehrfüchtiger Scheu; eine ehrfürchtige Scheu, die dicht an der Grenze des Ekels lag.
Ein Teil der Frauen schlief mit halboffenem Mund. Andere häkelten oder strickten mit farbigem Garn an großen, sinnlosen, schnell wachsenden Handarbeiten. Es sah so aus, als ob sie das innere Geschäft der Zellteilung nach außen verlegt hätten und als ob weibliche Handarbeit überhaupt nichts anderes sei, als Herstellung von parthenogenetischem Gewebe in Garn oder Seide.
»Nur Mut, die Herren, nur Mut«, hörte ich hinter uns den Animator uns animieren.
Ich trat ungeschickt wie ein Schuljunge auf eine der Üppigsten zu, verbeugte mich und sagte ganz lächerlicher Weise: »Wie steht das werte Befinden, meine Allerschönste?«
Das Mädchen sah mich aus völlig leeren Augen an, spitzte ihre Lippen mechanisch zu einem kußlichen Kreis und lächelte schwachsinnig. Ob sie mich hören konnte, weiß ich nicht. Daß sie kein Wort verstand, das wußte ich sofort.
»Reden dürfen Sie nicht mit ihnen, Seigneur, wo denken Sie hin«, amüsierte sich der Animator. »Zur Konversation sind unsre süßen Damen nicht bestimmt. Ist das nicht eine prächtige Erleichterung?«
Und seine Stimme senkte sich wie die eines Voyeurs:
»Tätscheln Sie doch das Mädchen, das hat sie gern. Hat sie nicht herrliche Brüste und Backen?«
Ich stand steif und regungslos. Hinter mir hörte ich, wie der Animator in die Hände klatschte.
Das Mädchen streckte mir ihre Arme entgegen. Sie schien zu bitten, daß ich ihr aufhelfe. Das tat ich auch. Sie zog sich erstaunlich leicht an meinen Händen empor, denn sie war sehr groß und voll. Kaum stand sie auf ihren Füßen, als sie sich mit kleinen Tanzschritten vor mir hin und her zu drehen begann wie ein Mannequin, nein, wie ein Automat aus prächtig blühendem Fleisch. Sie atmete dabei merkwürdig schwer. Ich muß gestehn, daß die Gestalt des Mädchens, die sich näher drängte, auf mich immer mehr Anziehung ausübte, die durch das Erbarmen, das ich zugleich fühlte, in peinlicher Weise verschärft wurde. Die Gegenwart des Animators aber machte mich kalt und bewegungslos. Ich wandte nach einer Weile mit einem bösen Ruck mein Gesicht weg.
Mehrere der Frauen, weiter oben um den verkrüppelten Stamm der Trauerweide, hielten Säuglinge an der Brust und nährten sie. Sie preßten, wie junge Mütter es zu tun pflegen, die Brustwarze zwischen Zeige- und Mittelfinger, um es den Babies leichter zu machen. Diese Babies aber waren keine Säuglinge, sondern Rückentwickelte. Sie waren alte, verschrumpelte Wesen wie der liebe Herr Io-Solip vorhin. Sie waren mit einem Worte Tote. Die Ammen des Wintergartens nährten die Toten mit ihrer Milch.
Man brachte ihnen ohne Zweifel die schweren Fälle, bei denen es haperte und die einzugehen drohten, ehe sie den Status der Leibesfrucht wieder erreicht hatten. Die süße Milch der Ammen sollte ihnen aufhelfen …«
Ich schloß die Augen, um dieses Bild, diese Vision nicht länger sehen zu müssen. Hinter mir hörte ich die Stimme des Animators:
»Über dieses Vergnügen können die Herren immer verfügen. Der Wintergarten ist ein Ort der Lust.«
»Ich möchte die Margueritenfelder sehen«, sagte ich.
»Dorthin sind’s nur wenige Schritte«, sagte er.
Als wir uns zum Gehen wandten und die Böschung hinabstiegen, war ich der letzte. Ich drehte mich noch einmal nach dem Ammenhügel um. Da sah ich, wie eine der jungen Frauen auf mich zulief. Es war dieselbe, die vorhin um mich ein wenig getanzt hatte. Sie reichte mir nun mit jeder Hand ein Geschenk dar. Es war ein großer purpurroter Garnglobus und eine von jenen sinnlosen Handarbeiten in tropischem Giftgrün. Ich verbarg beide Gaben in meinem Frack. Über das leere Gesicht des Mädchens liefen Tränen.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Worin das vorige Kapitel in den Margueritenfeldern fortgesetzt wird, auf verbotene Abwege gerät, die zu den Rübenmännchen führen, zu den Kataboliten und endlich ins Mnemodrom, in den See der Entinnerung.
Daß die rund sechsundzwanzig Billionen Zellen meines wiederzusammengesetzten Körpers einem andern irdischen Äon angehörten als dem Elften Weltengroßjahr der Jungfrau, war hier unten im Wintergarten möglicherweise meine Rettung. Ich weiß nicht, ob ich das Wort »allergisch« an dieser Stelle richtig verwende, da es aber jedermann im Munde führt, so wage ich’s. Ich reagierte
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