Stern der Ungeborenen
Menschenwelt unter ihm aber begann bereits das Gesicht des Dschungels anzunehmen. Mein letzter Eindruck demnach, den ich von der astromentalen Kultur davontrug, war, daß sie aufgehört hatte zu bestehen, um etwas Neuem Platz zu machen, das sich noch äußerst undeutlich und verwischt ankündigte. Dabei schienen die astromentalen Errungenschaften ohne Pause weiter zu funktionieren. Die schwarze Tafel am Firmament, wo die Sternlein zu den »Abendsternen Heute« zusammenhüpften, brachte jede zwei Minuten neue Nachrichten. Zu meiner Verwunderung war aber der Ton dieser Notizen völlig verschieden von dem gestrigen und vorgestrigen. Die Abendsterne priesen die Dschungel und ihre markig naiven Völkerschaften, die noch nicht durch dekadente Sitten verdorben, im tätigen Erdenleben und nicht etwa im zwecklosen Spiel oder in der Lösung ewiger Fragen ihr höchstes Ideal sahen. Die Himmelszeitung berichtete ferner von den überlebenden Verschwörern, jenen Waffensammlern, deren idiotischem Haß (diese Formulierung war richtig) man die große Bereinigung zu danken habe. Ein Teil von ihnen sei schon gefangengesetzt, und die gerichtlichen Kommissionen prüften bereits gegenwärtig, trotz der vorgerückten Stunde, die historischen Archive der fernsten Vergangenheit, um die geeignete Art der Todesstrafe ausfindig zu machen, wie man sie früher an Hochverrätern zu vollziehen pflegte.
Todesstrafe? Ich traute meinen Augen nicht. Doch am Himmel strahlte dieses furchtbare Wort auf in extens-demotischer Schrift. Vor wenigen Stunden noch, mitten im Hades, im Hohlraum des Todes, hatte der Animator mich streng gerügt, daß ich dieses schamlose Wort »Tod« offen verwende. Und jetzt stand es breit und klar am Himmel zu lesen, und die Leute, die emporzwinkerten, fielen gar nicht in Ohnmacht. Das ging selbst mir, einem ganz ausgekochten Dulder der Weltgeschichte viel zu schnell. Ich verstand aber plötzlich Io-Fagòr und alle Seinesgleichen weit besser als bis jetzt und mehr als das, ich gab ihnen große Ehre in meinem Herzen, weil sie lieber unter Verlust einiger Jahre Margueriten geworden waren als sich selbst untreu zu werden.
Dem Bericht über die gefangenen Verschwörer folgte ein längerer Artikel, der mit einer gewissen Ängstlichkeit darauf bestand, daß die Nützlichen Künste, welche die Menschheit im Laufe ihres Erdenwallens erlernt hatte, nicht verachtet werden dürfen und daß die segensreichen Einrichtungen auch der erneuerten Gesellschaft erhalten bleiben müssen, die sich voll und ganz auf die so schimpflich mißgenannten Dschungel gründe.
Bei dieser Stelle, welche Io-Joels Worte zitierte, mußte ich leise lachen.
»Warum lachst du so dreckig?« fragte B. H. traurig.
»Ich lache, weil ich mir den Uranographen vorstelle, wie er diesen Artikel mit seinem Stummel auf einen Käszettel schreibt …«
»Morgen werden sie ihn bestimmt fortjagen, um einen der ihren anzustellen …«
»Wie neu, B. H.«, höhnte ich, »wie gewaltig neu …«
Er wies stumm mit dem Zeigefinger gen Himmel, wo soeben ein andrer Bericht zusammenhüpfte, und zwar unter dem Titel:
»Das Ende der Seleniazusie bevorstehend … Soeben tritt das Komitee der Weltverfassung zusammen, um über einen Antrag schlüssig zu werden, der die Abschaffung der Seleniazusie vorsieht. Die Einrichtung des mondgeweihten Geoarchonten, des Machtlos-Mächtigen, des Verantwortlich-Namenlosen hat angesichts einer geringfügigen Gefahr so kläglich versagt, daß seine Stelle ein Geogeneral einnehmen wird, der ein Expert in der psychischen Artillerie ist. Auch das Schilderhaus des Welthausmeiers wird einem würdigeren Amtssitz weichen …«
»Schade«, sagte ich, »sehr schade«, und las nicht weiter, denn der Nacken tat mir schon weh vom zuvielen Himmelsgucken.
Mein Eindruck, daß die Panopolis schon jetzt das Gesicht des Dschungels anzunehmen begann, war vermutlich auch darauf zurückzuführen, daß wir hauptsächlich jene Orte aufsuchten, wo die Veränderung sich am stärksten bemerkbar machte. In den reinen Wohnbezirken, ja vielleicht sogar auf dem Geodrom mochte es sich anders verhalten; dort war vielleicht die Widerstandskraft der astromentalen Kultur nicht so schnell gebrochen worden. Hier aber, ich spreche vom Gebiet der »Ehemaligen Unterstadt«, in deren Zentrum jener Korso zwischen den beiden Toren lag, hier im Viertel der Kinderreichen und der »Mühseligen und Beladenen« ging es hoch her vor festlicher Erneuerung. So wenig mühselig und beladen diese
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