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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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hatten aus einem Nebenraum Kutten hereingebracht, die sie uns anprobierten. Ich wunderte mich, daß diejenige, die man für mich wählte, trotz des rauhen Stoffes sehr leicht und schmiegsam war und nicht einmal warm machte. Auch B. H. lächelte mir zufrieden zu.
    Mit GR 3 aber gab es eine Szene.
    »Was glauben Sie von mir«, rief sie empört. »Ich in einer Kutte mit Kapuze?«
    »Es ist ja nur für ein kurzes Stück Weges«, suchte der Strahlende sie zu beruhigen.
    »Kein Stück Weg ist kurz genug für meine Eitelkeit … Ich hatte im Leben eine einzige Mission, und ihr werde ich nicht untreu …«
    »Was für eine Mission, Madame?« fragte ich neugierig.
    »Schönsein«, erwiderte die Uralte, und sie war auch untadelig schön in ihrem stolzen Zorn. Und noch merkwürdiger: dieses Bekenntnis zum »Schönsein« im Munde einer rund Zweihundertjährigen klang nicht grotesk, sondern natürlich würdevoll. Die Mönche steckten die Köpfe zusammen, dann sagte einer, der ihr mit dem falschesten Mittel Vernunft beibringen wollte: »Aber lieb Mütterchen, der Zweck der Übung ist es gerade, daß Sie niemand sieht und identifiziert …«
    »Und Sie, meine Hochwürdigen«, fragte sie spitzig, »werden Sie mich etwa nicht sehen und identifizieren? Aber selbst, wenn ich hier ganz allein wäre, würde ich mich lieber in den Humus legen als mich lächerlich machen …«
    »Probatum est«, lachte der Obere der Brüder. »Es geht auch so. Es geht so vielleicht besser«, und die andern stimmten kräftig bei.
    Jemand zog mir die Kapuze über den Kopf. Ich setzte mich auf eines der Ruhelager, denn in diesem Augenblick erfüllte mich ein starkes Gefühl: Genau dasselbe habe ich bereits einmal erlebt. War das etwa eine fausse connaissance oder déjà-vu, wie man es nennt? Nein! Ich war wirklich einmal nahe daran gewesen, als Mönch vor erbarmungslosen Verfolgern zu fliehen. Marseille, Juli 1940 . Die Deutschen hatten Zweidrittel von Frankreich besetzt. Sie werden in wenigen Tagen das ganze Land okkupieren, so heißt es. Dann aber bin ich verloren, denn laut Paragraph 19 des Waffenstillstandsvertrags müssen die Franzosen mich und meinesgleichen ausliefern. Ich sitze im Kloster der Dominikaner. Man berät darüber, ob man die Gefährdeten in Kutten stecken und über die spanische Grenze schaffen könnte. Mich hält von diesem Abenteuer nichts anderes zurück als der Anblick von zwei falschen Mönchen, die sich ganz unmöglich im Habit bewegen.
    Was für ein feines Gefühl hat doch die Ahnfrau, dachte ich bei dieser Erinnerung, die mich sehr sonderbar berührte, da nach endlosen Zeiten eine ähnliche Situation sich nicht nur wiederholte, sondern ein abenteuerlicher Plan, der im Jahre 1940 gefaßt worden war, im Elften Weltengroßjahr der Jungfrau zur Ausführung kam. Ich hing diesem Gedanken noch immer nach, als uns die »Brüder vom kindhaften Leben« bereits in die Krypta unter dem der
Sancta Illusio
geweihten Altar und von da durch eine niedere Tür in einen Korridor führten.
    »Einzeln abfallen«, kommandierte der Strahlende humoristisch. Dieses alte Militärkommando schien sich in der Ordensdisziplin erhalten zu haben.
    Im Gänsemarsch durchquerten wir den Gang, immer unter Scherzen und Lachen der Mönche, die es nicht zuließen, daß wir uns der furchtbaren Spannung, in der wir uns befanden, so recht bewußt werden konnten. Dennoch, als wir den Gang verlassen hatten und vor der gewaltigen Wendeltreppe standen, erfaßte mich ein Schwindel. Diese Treppe glich einer Turmtreppe; nur war der zu ihr gehörige Turm nicht vorhanden. Sie wuchs wie ein graumetallenes Schraubenband in die Höhe, und zwar so hoch, daß wir nur ihren unteren Teil sehen konnten. Nach mehreren Windungen schon verschwand sie im Dämmer und Nebel der unterirdischen Herbstlandschaft. Ich konnte meinen Schrecken vor der Aufgabe, diese Treppe zu erklimmen, nicht mehr unterdrücken.
    »Mein Gott«, seufzte ich, »so etwas hat man schon in meiner Jugend niemandem zugemutet. Als der Campanile in Venedig nach seinem Zusammensturz wieder errichtet wurde, baute man ihm den prächtigsten Aufzug ein …«
    Der Strahlende klopfte mir leicht auf die Schulter:
    »Das ist keine Sache, mein Freund. Wer wirklich hinauf will, muß steigen.«
    Ich schwieg, fürchtete mich aber vor dem plötzlichen Herztod, den mir der Animator prophezeit hatte. Unsinnigerweise hatte ich gar nichts dagegen, zu zerfließen und mich aufzulösen, aber vor dem Versagen meines dubiosen Körpers

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