Stern der Ungeborenen
auf dem ganzen Globus erschreckend überhandgenommen hatte und derart raffiniert ausgebildet worden war, daß sie so glänzende Resultate und Realisationen aufzuweisen hatte wie zum Beispiel
mich,
so pflegte die Kirche, wie stets in solchen Fällen, ein Auge zuzudrücken, ohne einen Fußbreit von ihrem Standpunkt abzuweichen. Immerhin aber wäre es zu viel verlangt gewesen von einem Großbischof, daß er mit einem okkulten Phänomen gesellige Artigkeiten austausche, mit einer armen Seele in steifem Hemd und weißer Binde, die anderswohin gehörte als hierher, bestenfalls ins Fegfeuer, von wo sie vermutlich auch nur einen kurzen Urlaub erhalten hatte.
Sechstes Kapitel
Worin ich vom Bräutigam empfangen, nach antikem Kämpfer- und Soldatenleben ausgefragt werde und das Denkmal des Letzten Weltkrieges zu sehn bekomme.
Als wir, von dem lieben Herrn Io-Solip, dem Bräutigamsvater fürsorglich geführt, einen hochgewölbten Korridor durchschritten, dessen angenehme Dämmerung wie vom Abschein des unsichtbaren Mondes gesprenkelt war, hörte ich deutlich den unverkennbar knöchernen Anschlag und das Auseinanderfahren von Billardkugeln.
»Was ist das, was ist das?!« fragte ich und blieb stehn.
»Was wird’s schon sein«, mahnte B. H. ärgerlich und zog mich weiter.
Und wirklich und wahrhaftig, im Vorraum, der an des Bräutigams Schlafgemach grenzte, stand ein Billard auf seinen vier festen, kurzen, dickwadeligen Beinen, mit grünem Filz bezogen wie nur eh und je. Ich weiß nicht, warum es mich so herzlich bewegte, diesem Gegenstande hier zu begegnen, der schon in meiner eigenen Jugend auf mich immer den Eindruck eines altertümlichen Erbstückes aus Vorväterzeit gemacht hatte. Ach, so viele wertvolle Instrumente unsrer Kultur waren von der endlosen Zeit zwischen meinem Verschwinden und Wiederauftauchen dahingerafft worden: Ich sah zum Beispiel nirgends ein Pianoforte noch irgendein anderes Musikinstrument, auch kein mechanisches, kein Grammophon, kein Radio. Einzig und allein das Billard, von seinen Anfängen an nur in dumpfen Kneipen, verregneten Landhäusern und feuchten Sommerhotels sich langweilend, hatte ein gewaltiges, ja ein mystisches Beharrungsvermögen entwickelt. Hier stand es, und es schien mir, B. H. und ich müßten es persönlich erkennen. Ich wagte aber nichts mehr zu sagen.
Der Bräutigam Io-Do schien, als er unsre Schritte gehört hatte, sich sofort vom Billard und aus dem Vorraum in sein Gemach zurückgezogen zu haben, denn es geziemte sich in diesen Tagen nicht für den Freier, daß er seine betrachtende und vorbereitende Muße durch banale Hantierungen oder Spiele unterbrach. Wiederum schlug uns ein anderes Licht entgegen als die verschiedenen Beleuchtungen oben in den Empfangsräumen und die wohlige Dämmerung im Korridor. (Je persönlicher und intimer ein Wohnraum war, um so tiefer lag er im Schoße der Erde, ganz im Gegensatz zur Gepflogenheit einer Zeit, welche die Schlafräume in den Oberstock zu verlegen pflegte. Je einsamer der neue Mensch mit seinem Körper bleiben wollte, um so weiter zog er sich zurück.) In meinen Tagen hatten einige Psychiater und überspitzte Künstler davon geträumt, artifizielles Licht in verschiedenen Mischungen oder Farbharmonien im Zusammenhang mit musikalischen Klängen auf die Seelen verfeinerter Liebhaber oder Kranker wirken zu lassen. Hier waren diese erkünstelten Träume zur vernünftigen Tat geworden. Aus Gründen der schon mehrfach erwähnten Sonnenfürchtigkeit lebten meine zukünftigen Zeitgenossen in ihren Häusern nur bei künstlicher Beleuchtung. Die Abkehr von der Natur war vollkommen. Sie war aber, und das muß immer wiederholt werden, zugleich auch notwendig. Durch die Einschrumpfung der Ozeane nämlich und die dadurch verursachte Verminderung der Wolkenbildung strahlte über der Erde bekanntlich ein ebenso ewiger wie öder Blauhimmel. Die ausgetrocknete Atmosphäre setzte der ultravioletten Strahlung fast keinen Widerstand entgegen. Ein ganzer Tag, im Freien zugebracht, hätte selbst die Kräfte eines bärenstarken Mannes überstiegen. Wie herrlich war deshalb das Haus im Schoße der Erde! Es war herrlicher, wichtiger, willkommener als in der Vergangenheit die vier schützenden Mauern während eines Schneesturms. Wie gut, wie herrlich, wie willkommen war auch das künstliche Licht, auf das Phantasievollste von den Menschen behandelt, da es jederzeit alle Nuancen spielen konnte, die draußen die Natur längst vergessen zu haben schien, von
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