Stern der Ungeborenen
der windig fetzigen Fahlheit eines Märzmorgens bis zum druidischen Clair de Lune einer versilberten Juninacht, von der lilahältigen Schneeblässe eines welligen Skiterrains bis zum golddurchtropften Waldesdunkel, je nach Wunsch. Wie gut war auch die immer frisch bereitete Luft, die ich bisher zu erwähnen vergessen habe, eine Luft, entweder dünn wie auf Bergesgipfeln oder voll Jod und Salz wie über der aufgewühlten See. Es war ein Ideal von häuslichem Leben. Das Haus verschloß sich wie die tönende Muschel schützend vor dem Kosmos und zauberte doch das ganze Raunen des Kosmos in seinen engen Hohlraum. Vater Io-Solip hatte die Tür geöffnet. Wir folgten ihm ins Appartement seines Sohnes. Io-Do, der Bräutigam, lag, wie es sich gehörte, eine hölzerne Schlummerrolle unterm Kopf, auf dem viereckigen, niedrigen Ruhelager, ähnlich wie man es zu meiner Zeit als »Couch« bezeichnet hatte. Der junge Io-Do trug keine Perücke, womit ich mich gewöhnt habe den Kopfaufsatz meiner neuen Mitmenschen falsch zu bezeichnen, sondern er trug eine Art von goldenem Helm. Auch war er nicht nackt, sondern in einen dichten schwarzen Schleierstoff gehüllt; schwarz nämlich war hier, ähnlich wie bei uns, die Festesfarbe der Männer. B. H. sah mich an. Unzweifelhaft fragte sein Blick nach der Impression, die der schöne Jüngling in mir hervorrief. Da ich mich nun schon einige Stunden in dieser Welt befand, hatte sich nicht nur mein Unterscheidungsvermögen für die menschlichen Gesichter, sondern sogar mein physiognomischer Instinkt in hohem Grade geschärft. Ich hätte B. H. eine bündige Antwort in wenigen Worten geben können: »Ein verwöhnter Junge aus reichem Haus.«
Mein Gott, schon das Wort »reich« wäre ohne Sinn gewesen. Hier war jeder reich und infolgedessen keiner. Wurde irgendwo Hochzeit gehalten, wie hier bei unsern neuen Freunden, so übernahm das junge Paar am Tage nach der Hochzeit das Haus der Brauteltern. Für letztere stand seit längerer Zeit zumeist ein andres Haus bereit, denn da fünf und sechs Generationen zugleich lebten, war mittlerweile doch eines der vielen Häuser freigeworden, die dem Clan in der männlichen oder weiblichen Aszendenz angehörten. Im allgemeinen gab es stets mehr vakante Wohnhäuser als junge Paare, die nicht heiraten konnten, weil die Brauteltern sonst obdachlos sein würden. Auch sorgten die Ortsgemeinden dafür, daß ihre Bevölkerungszahl immer schön im rechten Verhältnis stand zu den notwendig gewordenen und daher durchgeführten Neubauten. Es war dies freilich eine leichte Arithmetik, da die Menschen fast keinen Wandertrieb zeigten und nur wenig Lust, ihren Wohnort zu wechseln. Wer hätte auch fröhlich reisen wollen, wenn es genügte, ein paar farbige Kügelchen in die richtigen Löchlein eines Spielzeugs zu lenken, um von einem Ende der Welt im selben Augenblick zum andern zu geraten, zumal jenes Ende sich von diesem durch nichts unterschied: überall dieselbe Ebene, überall derselbe eisengraue Rasenteppich, überall dieselben gehöftartigen Baumversammlungen, aus deren schwarzledrigem Laub die Wachszieher- oder Zuckerbäckerblüten schimmerten, überlebensgroßen und krankhaften Magnolien gleich. Die Vielfalt des Lebens – ausgenommen selbstverständlich der noch unbekannte Dschungel und sein säuisches Getümmel – lag nicht über, sondern unter der Erde, in jenen tiefen und weiten Aushöhlungen, die Häuser hießen, ohne Häuser in unserm alten Sinne zu sein, und die doch den schönen Ausdruck des archaischen Dichters Ibsen bewährten: »Heimstätten für Menschen«. Es war darum auch eine der größten Freuden der neuen Familiengründer, diese Heimstätten nach eigenem Geschmack umzugestalten, das Unterste zu oberst zu kehren, nachdem die früheren Eigentümer zusamt ihrem junggeselligen Stab von Wortführern, Hausweisen und Beständigen Gästen die Schwelle verlassen hatten.
Habe ich nicht kraft der Osmose und Penetration schon einiges zugelernt? Ich fühlte mich von meinem Vergil nicht mehr so abhängig. Mich durchdrang von Minute zu Minute deutlicher die Überzeugung, daß ich hier dem erfüllten Traume des Kommunismus gegenüberstand, und zwar ganz und gar auf aristokratischer Grundlage. Dabei war es offensichtlich, daß dieser Traum sich nicht jüngst, sondern vermutlich schon seit undenklich vielen Menschenaltern erfüllt hatte. Freilich, meine kommunistischen Freunde von damals aus den Anfängen der Menschheit hätten sich’s nur ungern dergestalt
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