Stern der Ungeborenen
Himmelszeitung nur in einem einzigen Exemplar erscheinen kann, und kein politischer Partei- und Inseratennabob die Millionen einstreicht.«
»Es gibt keine Millionen«, versetzte B. H. sehr von oben herab, »wenn du darunter jene verrosteten und verblaßten Courantmünzen verstehst, wie man sie noch heute in der obersten Erdschicht findet. Seit undenklichen Zeiten schon hat jedermann, was er braucht, und viel mehr als das. Jedermanns krankhafteste Gier könnte ohne weiters befriedigt werden. Schon aber dadurch, daß jedermann weiß, daß er alles haben kann, ist die Gier im Menschen so ziemlich versiegt. Es gilt im Gegenteil als fein und vornehm, weniger zu wollen, als man braucht. Reichtum als Drang, andre auszustechen, würde als erniedrigendes Gebrechen gelten wie Schweißfüße oder schlechter Geruch aus dem Mund. Und daß wir nicht mehr kaufen und verkaufen, das habe ich dir schon gesagt, F. W., nicht wahr?«
»Und es gibt wirklich keinen Fall und keine Möglichkeit, wo ich etwas kaufen könnte, was ein andrer besitzt, und was einzigartig ist und nicht ein zweites Mal herstellbar?«
»Ich will ganz genau und ganz offen sein, mein lieber F. W.«, lächelte der Wiedergeborene jetzt. »Manchmal spielen wir Kaufen und Verkaufen …«
»Aha, ich verstehe, wie man Roulette spielt oder Baccarat oder Poker …«
»Im Spiel ist alles erlaubt«, verkündete B. H. »Spiel ist die wiederhergestellte verantwortungsarme Zeitdimension der Kindheit …«
»Sehr richtig«, mischte sich unser Abbe, der Wortführer, ins Gespräch. »Spiel ist die wiederhergestellte, schier ewige Zeitdimension der Kindheit. Doch nur das echte Spiel, das gewissermaßen sinnlos vor sich hinlallt, das nichts anderes ist als die träumerische Hingabe von Leib und Seele an die elementaren Kräfte, die uns umwogen. Gewinnspiel aber und Wettspiel hat nichts mit dem echten Spiel zu tun …«
»Und doch ist mir Kaufen und Verkaufen das liebste Spiel«, sagte Bräutigam Io-Do trotzig, und er fügte hinzu: »Ich würde sofort zehn Fernschattenzertrümmerer für eine mittlere Pulverflinte in Tausch geben.«
»Da sehen Sie nur unsre eheschließende Jugend«, schüttelte der Wortführer sein Haupt, worauf er den stark verrutschten silbernen Kopfaufsatz geraderücken mußte. Plötzlich aber deutete er mit ausgestrecktem Arm gen Himmel: »Was wollen Sie von der Jugend, da selbst die Weltallweisen und Lebensgelehrten Wettspiele aufführen?« Auf der schwarzen Schultafel des Firmaments waren jetzt neue Sternen-Schlagzeilen aufgesprungen. Sie lauteten:
»Größte Streitfrage aller Zeiten. – Match zwischen Professor Io-Sum und Professor Io-Clap wird fortgesetzt. – Kann Existenz Gottes zureichend bewiesen werden? – Heutiger Stand des Wettspiels: Fünfzehn Punkte gegen siebzehn Punkte für Professor Io-Clap.«
Ich muß dem Leser ein Geständnis machen: Das Wort »Professor« leuchtete am Himmelsgewölbe nicht auf, sondern etwas, was dem griechischen Ausdruck »Sophistes« ähnlich sah und nahekam. Ich habe von der Monolingua nichts behalten als die merkwürdige zirpende und zwitschernde Lautbildung, die ich schon einmal mit dem Aztekischen verglich und die Erinnerung an eine Menge griechischer Fremd- und Lehnworte, mit denen die Zeitgenossen seltsam genug viele ihrer Einrichtungen bezeichneten. Das Griechische, zum Teil auch das Lateinische und Hebräische hatte sich als Gelehrten- und Theologensprache durch die Jahrzehntausende fortgeerbt wie die christkatholische Kirche (vielleicht sogar durch sie) und jene andere Erscheinung aus der Urzeit, die noch zur rechten Zeit in meiner Erzählung auftauchen wird. Also von »Professor« war keine Rede, sondern etwa von »Sophistes Io-Sum« und von »Sophistes Io-Clap«. Da aber das Wort Sophist bei uns einen absprechenden Beiklang hat, habe ich mich in frecher Übersetzerart entschlossen, es mit unserm bewährten »Professor« zu übertragen.
»Wie findest du das?« sah mich B. H. forschend an.
»Es ist gewiß die größte Streitfrage aller Zeiten«, entgegnete ich höflich, »doch auch die älteste, was die Formel schon besagt. Ich könnte jeden Betrag wetten – oh, ich bitte um Verzeihung, man wettet ja nicht –, daß ich nichts mir Unbekanntes darüber zu lesen bekommen werde.«
B. H. war ziemlich pikiert im Namen seiner Zeitgenossen. Er wandte sich mir voll zu:
»Beweist es nicht einen beträchtlichen geistigen Fortschritt, daß man in dieser Stunde rund um den ganzen Erdball der großen
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