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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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schönen Sommernacht gedachte ich da, wo ich ebenso den Kopf zum Himmel gehoben hatte, daß er beinahe waagrecht lag. Es war in der Nähe unsres Hauses gewesen, in den Voralpen. Die Milchstraße wölbte sich auch damals über mir, das Mondlicht aber war so stark, daß ihr Schleier nur wie eine Ahnung wehte. Und jetzt war ich tot. Und nicht genug damit, ich befand mich in dieser fremdesten aller Welten, eine zur Schau gestellte Rarität. Wie aber hatte selbst der Himmel sich verwandelt! Man konnte ihn mit dem alten sparsamen Himmel jener verschollenen Nacht ebensowenig vergleichen wie eine überüppige Blumenwiese im Juli mit einer Wiese im März nach der Schneeschmelze. Ich bin kein Astronom noch sonst ein Himmelsgucker oder -kenner; die Zahl der Sterne jedoch schien sich, verglichen mit meiner eigenen Lebenszeit, verzehnfacht zu haben. War es nur die trockener und klarer gewordene Erdatmosphäre, die mehr Sternmillionen enthüllte als früher? Waren inzwischen neue Gestirne in solch unfaßbarer Überzahl ins Leben getreten? Oder fehlte einfach der liebe Mond?
    Ich fühlte plötzlich, daß eine schier grauenhafte Wehmut in meiner Kehle emporstieg, ein ganz unausdrückbarer Jammer, wie ich ihn nie gefühlt hatte. Obwohl mein Gesicht starr blieb – es war neuartig kalt geworden um mich –, begannen die Wasser aus meinen Augen zu stürzen. Ich war viel zu traurig, um mein nicht mehr ganz reines Taschentuch zu ziehen. Ich lehnte nur mit zusammengebissenen Zähnen mein Gesicht gegen B. H.’s Schulter.
    »Was hast du denn, F. W. ?« fragte der alte Freund verstört.
    »Mir ist so leid um den Mond, B. H.«, stammelte ich.

Siebentes Kapitel
    Worin ich einen Blick in »Die Abendsterne Heute« tue, zum Unparteiischen in der wichtigsten Streitfrage aller Zeiten bestimmt werde, einen ansehnlichen Erfolg erringe und infolgedessen dem schlummernden Welthausmeier oder auch Geoarchonten oder auch Erdballpräsidenten meine Aufwartung machen darf.
    Diese grauenhafte Wehmut, diese herzzerreißende Sentimentalität, ein wahres kosmisches Hundegefühl, welche mir das salzige Naß in die Augen und ein Aufschluchzen in die Kehle trieb, war glücklicherweise unbegründet. Ja, ich hatte grundlos um den Mond gelitten. Die gute Luna war während meiner langen Abwesenheit nicht vom Himmel verschwunden, nicht war sie von ewiger Nacht verschlungen, nicht im Nachhall der Sonnenherzattacke in Millionen Meteore zersprungen, sie war intakt und unverwandelt geblieben mit allen ihren vier Vierteln. Ich konnte mich selbst überzeugen davon, ohne daß mich B. H. erst mit Worten beruhigen mußte, denn gerade in diesem Augenblick war die traute Mondscheibe in ihrem schwachen ersten Viertel am aufgeworfenen Rand der weiten Waagschale sichtbar geworden, die ferne Spiel- und Silhouettenarchitektur der Türme, Türmchen, Giebel, Erker, Kuppeln, Zinnen am östlichen Horizonte nachschwärzend.
    Ich kam aber gar nicht dazu, mich über die Vorhandenheit des alten Mondes so recht zu freuen, da, ungeheuerlich ganz und gar, ein wüstes astronomisches Phänomen am Nachthimmel Platz zu greifen begann. Wir wissen schon, daß der Nachthimmel dieses Zeitalters mit zehnmal dichterem Sterngewimmel übersät war als etwa der Himmel einer vollausgestirnten südlichen Augustnacht des zwanzigsten Jahrhunderts auf Bergesgipfeln oder hoher See. Der Vergleich mit einer blumendichten Sommerwiese, den ich vorhin gebrauchte, ist ziemlich zutreffend. Die einzelnen Sterne, soweit man unter diesen Sternklumpen, Sterntrauben, Sternschleiern von einzelnen Sternen überhaupt sprechen konnte, waren um viele, viele Grade heller und größer als damals, und der zusammengeschrumpfte, schwarze Nacht-Raum zwischen und hinter ihnen schien weit zurückzutreten. (Angesichts dieser fortschreitend sich entschleiernden Weltenfülle mußte die Astronomie eine Wissenschaft geworden sein, deren Inventuraufnahme allein schon über Menschenkräfte ging.) Zu meiner Zeit, da man mit freiem Auge am Nachthimmel kaum dreitausend Sterne unterscheiden konnte, hatte man das Universum mit einer explodierenden Granate verglichen, deren Partikel, die Sterne, nach allen Seiten auseinanderfahren. Die Gelehrten waren wie so oft in dieser Theorie einer Illusion erlegen. Die dichte Belebtheit des Nachthimmels Jetzt zum Unterschiede von Einst hätte mir sofort die Wahrheit eingeben müssen:
Das Universum atmet.
Beim Einatmen ziehen sich die Gestirne im Raume zusammen, beim Ausatmen fahren sie auseinander. Diese

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