Stern der Ungeborenen
große, hohe Wahrheit aber sollte ich erst viel später aus dem Munde des Hochschwebenden erfahren. – Eine künstliche Beleuchtung des Geodroms, der zentralen Plaza, wäre völlig überflüssig, ja hinderlich und störend gewesen. Wir waren eingehüllt in Licht, das ganz anders und weit schwächer als Sonnenlicht war, aber dennoch Licht; es war ein bläulich volles Licht, das die Gestalten und Gegenstände völlig ausmodellierte, nicht anders als der Tag, ihnen aber die Farbe nahm. Da aber in der Farbe das große Geheimnis der spektralanalytischen Täuschung liegt und die Farbe mehr der Maya angehört als die Form, so kann ich dieses übertriebene Sterntageslicht mit Recht ein geistiges Licht nennen, geistiger zumindest als das der Sonne. Wir standen somit umhüllt von astromentaler Nachthelligkeit. Und jetzt ereignete sich Folgendes:
Als würden vier apokalyptische Gewalten nach allen Richtungen eine zuerst kleine, doch stets wachsende Himmelsstelle mit unsichtbaren Spaten, Rechen oder Besen von Sternen freischaufeln, freiraufen, freikehren, entstand in der Mitte des Firmaments plötzlich ein immer größeres schwarzes Rechteck, einer Schultafel von Lichtjahrdimensionen ähnlich, an deren Rändern sich der glitzernde Sternenkies hoch aufhäufte.
»Was ist das, was ist das?« stotterte ich und preßte die linke Faust gegen mein arg zerknittertes Frackhemd.
B. H. ergriff meine rechte Hand und drückte sie gebieterisch:
»Alteriere dich nicht, F. W., verhalte dich ruhig! Es handelt sich selbstverständlich um ein rein optisches Manöver.«
»Man sollte doch die Sterne nicht zu optischen Manövern verwenden«, sagte ich mit bitterer Zunge aus trockener Kehle, und meine Kniee bebten.
»Unsre Beziehung zu den Sternen ist eine andre als die eure, lieber Freund«, lächelte der Wiedergeborene, der zur Vorsicht noch immer meine Hand festhielt, »seitdem unanzweifelbar festgestellt wurde, daß unser Planet wirklich und wahrhaftig der Mittelpunkt des Universums ist und es demnach ausschließlich nur
einen
bewohnten Planeten und
eine einzige
Menschheit gibt, die unsrige!«
»Was sagst du da, B. H.«, entrang sich’s mir, »ist das wirklich und wahrhaftig festgestellt und kein Zweifel mehr möglich? Die geozentrische Hypothese und mehr als sie hat also gesiegt? Oh, ich hab’s im stillen immer gewußt, sie werde siegen. Denn ohne sie ist der Glaube an eine geistige Bestimmung dieser Welt schwer zu begründen. Wie bin ich glücklich, B. H., wie sonderbar glücklich …«
Und bei diesen Worten fühlte ich meine Augen wieder naß werden, diesmal aber nicht durch das kosmische Hundegefühl, der Mond sei hin, sondern aus einem tief befriedigten Stolz. Der Wiedergeborene sah mich erstaunt an:
»Hast du dir das so sehr gewünscht, F. W.?« fragte er. »Ich finde, die Verantwortung wächst damit ziemlich ins Unermeßliche …«
Ich konnte auf diese mit Recht bekümmerte moralische Anmerkung nichts mehr erwidern. Denn in demselben Augenblick begannen aus dem gehäuften Sternkies rings um das leere, pechschwarze Rechteck einzelne spritzige Sternlein mit hüpfendem Mutwillen auf die Tafel zu springen, und aus ihnen bildete sich im Nu eine Lichtschrift, eine Titelschrift, und ich las, durchaus nicht zu meiner Erbauung:
»Die Abendsterne Heute.«
Und darunter in kleinerem Grade:
»Am dritten Tage des vierten Erdenmonats der siebenhundertzweiundvierzigsten Sonnenwoche der Null Komma Null Null Null dritten Evolution im elften Weltengroßjahr der Jungfrau.«
Und daneben, ganz winzig in Klammern, eine sechsstellige Zahl, die ich nicht lesen konnte, mit dem Zusatz: »Post Christum Incarnatum.«
»Das geht zu weit«, sagte ich, und erinnerte mich zugleich, daß ich diese selbe Phrase schon einmal während meines Abenteuers gebraucht hatte. Ein Forschungsreisender soll schauen, schweigen, Interjektionen vermeiden und keine Kritik üben. Freilich, ich durfte ja erst nach meiner Rückkehr so recht erkennen, daß ich eine Forschungsreise absolviert hatte. Jetzt aber verletzte diese aus Sternenlettern gedruckte Zeitung meinen Geschmack. Vielleicht würden die Gestirne des Zodiak auch noch zu Annoncen für Hautcreme und Abführmittel mißbraucht werden! Die kosmische Zudringlichkeit des Menschen war ins Absurde gewachsen:
»Wie wunderbar!« höhnte ich. »Nun hat der Journalismus und das Reklamegeschäft sogar nach den Sternen gegriffen. Das hätte nicht einmal ich mir träumen lassen. Der einzige Vorzug ist, daß eure
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