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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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tue, um dem Schlafe zu entgehen, und dabei von B. H., der freundschaftlich meine Einsamkeit teilt, dies und jenes in Erfahrung bringe, was in der Welt seit jener Nacht geschehen ist, in der ich so unvorsichtig war, das letztemal einzuschlafen.
    B. H. hatte sich freiwillig angeboten, diese meine erste Nacht in der astromentalen Epoche mit mir zu verbringen.
    »Das ist sehr anständig von dir«, sagte ich, »und ich danke dir für deine Güte. Denn es ist kein geringes Opfer, das du mir bringst. Aber weißt du, ich wäre unter keinen Umständen allein und einsam geblieben …«
    »Ich glaube mich zu erinnern, F. W.«, lächelte der Freund, »daß du vordem geradezu ein Wüstling der Einsamkeit gewesen bist …«
    »Ja, das war ich so ziemlich, B. H. Aber doch nur, um in verlorenen Gebirgsnestern und Fischerdörfern meinem Denken und meiner Arbeit ungestörter leben zu dürfen. Mein Gott, das war nicht einmal zwanzigprozentiger Alkohol der Einsamkeit. Wenn man den hundertprozentigen kennengelernt hat, die echte unaussprechliche Einsamkeit, aus der ich komme, dann fürchtet man sich davor, eine Nacht allein zu verbringen.«
    Als er diese Worte hörte, sah mich B. H. ein wenig betroffen und vielleicht sogar schuldbewußt an und sagte nichts. Wir befanden uns in einem geräumigen Fremdenzimmer, das durchaus nicht unbehaglich war, obwohl die ganze Einrichtung nur aus einigen Streckstühlen, einem mittelgroßen Ruhelager mit erhöhtem Kopfende und harter Schlummerrolle sowie aus einem kleinen Buffet bestand, das eher einem Medikamententische glich, in dessen kreisrunden Löchern die uns schon bekannten kristallenen Eierbecher mit verschiedenfarbigen Säftchen und Süppchen blinkten. Sie waren zahlreicher als die beim Festmahl servierten. Die Hausfrau hatte, als sie sich von mir verabschiedete, von einem kleinen »Nachttrunk« gesprochen. Es schien aber, mit mentalem Maßstab gemessen, ein üppiges Souper zu sein. Ich empfand ein bißchen Nahrungstrieb, eine ganz leise und schüchterne Art von Appetit, fürchtete aber zugleich die geistige Anstrengung, die mit der Einverleibung von solchen Substanzen wie »Meer« oder »Jagdgründe« oder »wogende Kornsaat« und so weiter verbunden war. Da öffnete B. H. ein Schränkchen im Buffet und zog einen regelrechten Steingutkrug hervor, aus welchem er mir und sich selbst zwei weiße, henkellose Täßchen mit einer dampfenden, dicken Creme vollschüttete:
    »Versuch das einmal, es wird dir schmecken.«
    Es schmeckte mir köstlich, es durchglühte die zerschlagenen Glieder, schmeichelte dem Magen und ölte die Nerven.
    »Schweig, laß mich raten«, bat ich, während Lippen, Zunge und Gaumen den Geschmack emsig prüften, »ich glaube, ich kenne das. Wir haben’s zu Hause Chaudeau genannt, aus Südwein oder Cognak gebraut mit Eidottern und Zucker.«
    »Manchmal schwindelt der Arbeiter«, lachte B. H., »und melkt die Capricornetten, diese winzigen Tierchen, die auf den weiten Auen seines Parkes weiden. Und die Milch, denk dir, die echte Milch, schenkt er dann gewissen Kindern, Bräuten oder alten Leuten, die er bevorzugt. Er bevorzugt Lala. Sie hat von ihm die echte Milch geschenkt bekommen, und daraus wurde für uns der Nachttrunk bereitet. Es ist eine verbotene Näscherei und widerspricht eigentlich den verfassungsmäßig vorgeschriebenen Speisen.«
    »Um so besser, B. H., um so besser.« Dann aber fragte ich ihn: »Warum eigentlich bevorzugt der Arbeiter Lala, wie ich mir wohl denken kann, unter tausend andern Bräuten?«
    »Ist dir das so unverständlich, F. W.?«
    »Oh, ganz im Gegenteil, es ist mir sehr verständlich, B. H. Lala ist ein bildschönes Mädchen, und das schönste an ihrer Schönheit, für mich wenigstens, sie ist gar nicht fremd-schön und unbegreiflich-schön; man hätte selten, aber doch dann und wann einer solchen Lala in der Rue St. Honoré zu Paris, auf der Kärntnerstraße von Wien oder auf der Fifth Avenue begegnen können, seinerzeit. In der ersten Sekunde, wenn man sie sieht, bleibt einem der Atem weg. Wenn sie aber den Mund auftut, na, dann erscheint sie etwas geistig unentwickelt, launisch und … und diese leeren Handflächen von Panoptikumsfiguren …«
    B. H. sah mich merkwürdig an.
    »Geistig unentwickelt«, fragte er, »meinst du das im Ernst?«
    »Im Ernst meine ich gar nichts, mon vieux. Wie könnte ich in meiner Situation ein seriöses Urteil über irgendwen oder irgendwas fällen … Lala ist also weder launisch noch geistig

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