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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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kein Zauberer? Und was ist das Mentelobol mitsamt seinen Zusammenstimmern auf ihren Ruhelagern? Und was ist der Uranograph, dem die Sterne parieren wie dem Typographen das Blei in der Setzmaschine? Und was ist das Anrufen mit dem nackten Gedanken? Wir haben zu diesem Anrufen Telephonapparate mit dicken Kabeln gebraucht oder zumindest Radioröhren samt den dazugehörigen kurzen und langen Wellen …«
    »Mein lieber F. W.«, mischte sich B. H., der noch immer an der Tür stand, ins Gespräch, »dein Telephon und Radio würde den Herrschaften hier als eine größere Zauberei erscheinen als ihr Mentelobol. Nichts, woran man sich gewöhnt hat, ist Zauberei.«
    Er schwieg plötzlich und fügte dann verlegen hinzu: »Von Radio und Telephon weiß ich einiges wenige durch meine Studien.«
    »Unsinn und leeres Gerede«, sagte die Ahnfrau mit dem grauenhaften Eigensinn und der Bosheit alter Leute, die nichts anerkennen, nicht einmal die Argumente, die zu ihren Gunsten sprechen. »Wir zaubern nicht, wir sind zu fortgeschritten, zu aufgeklärt und überlegen dazu. Gezaubert haben Sie, Seigneur. Wenn Sie zum Beispiel, wie man’s in der Schule lernt, bei Anbruch eines neuen Jahres um Mitternacht Ihrem hundsköpfigen Hausgott ein Glücksferkelchen opferten. Dann haben Sie sich im Blute des Tierchens gewaschen und es danach mit Haut und Knochen aufgefressen, wobei Sie immer wieder ›Prosit Neujahr‹ riefen. Das gab Ihnen aber auch Glück und Kraft, und das nenne ich Zauberei. Ist das nicht so?«
    »Das ist entschieden eine Übertreibung, Madame«, entgegnete ich und wandte mich an meinen Freund: »Gib’s zu, B. H.«
    Der Wiedergeborene zuckte nur die Achseln und schwieg.
    »Das sagt die Wissenschaft«, erklärte hartnäckig die schöne GR 3 , wie man Lalas Ururgroßmama mathematisch ausdrücken kann, da sie selbst einer aufklärungsgläubigen und wissenschaftlichen Generation angehörte. Und sie schloß: »Weil es die Wissenschaft sagt, muß es wahr sein.«
    »Zu meiner Zeit«, verbeugte ich mich, »war Wissenschaft oft nur ein Spiel mäßiger Phantasie unter der Maske exakter Trockenheit. Die Menschen bleiben einander so ziemlich gleich, und doch, ich sehe, niemals kann eine Epoche die andere verstehen …«
    Lalas Augen sahen mich groß an. Es war aber keine Spur von Abscheu in ihnen:
    »Ist das wahr, Seigneur, daß Sie sich mit Tierblut besprengt haben, um ein gutes neues Jahr herzuzaubern?«
    »Ich schwöre Ihnen, mein Fräulein«, verteidigte ich mich erbittert, »das ist ganz und gar nicht wahr. Ich habe mich weder am Silvesterabend noch sonstwann mit Tierblut besprengt.«
    »Aber getrunken haben Sie’s, Seigneur?« fragte die Braut mit auffälliger Neugier.
    »Bei solchen festlichen Gelegenheiten haben wir Champagner getrunken«, entgegnete ich. »Ich wäre sehr glücklich, wenn ich den Damen ein Glas davon kredenzen dürfte. Es ist ein prickelndes Getränk, das heiter und positiv macht, zum Beispiel Pommery oder Mumm Sec oder Brut oder Goût Américain …«
    »Interessant wär’s schon«, lächelte Lala versonnen, »und ich möcht’s gern probieren, besonders dann, wenn ein Tröpfchen Ferkelblut drin wär …«
    »Aber Lala«, rief die Brautmutter empört, »nicht einmal im Spaß sagt man sowas Schreckliches. Und du sagst es am ersten Abend deiner Hohen Zeit.«
    Lala beachtete diesen Verweis ihrer Mutter gar nicht. Sie wandte ihre Augen von mir. Unbehagen und Unruhe schienen sie zu durchzittern. Sie runzelte ihre Stirn. Plötzlich machte sie eine unwillige Bewegung mit ihrem ganzen Körper, der hell unterm taubengrauen Schleiergewand hervorleuchtete:
    »Ich hasse diese Blumen«, stieß sie hervor.
    Und sie schüttelte den Strom der rostroten, tragantenen Strauchblüten von sich, mit denen Io-Rasa sie überschüttet hatte, damit sie ihrer Schönheit zur Folie dienten.
    »Ich verstehe Sie genau, Fräulein«, sagte ich, »Sie haben recht. All diese Blumen sind wie künstlich. Das muß ich aufrichtig gestehen, obwohl ich bereits weiß, daß es ungehörig ist, im Negativen aufrichtig zu sein. Aber wie wünsche ich mir, meine Damen, daß Sie unsere Rosen gekannt hätten, eine zarte, herzrote La France, eine Maréchal Nil, eine gelbliche Teerose; die duftet nur für stumpfe Sinne nach Tee, sie duftet in Wirklichkeit nach leise faulendem Laub, nach der traurigen Essenz sonniger Herbsttage. Aber was wissen Sie von Jahreszeiten?«
    Ich weiß nicht, warum ich mich gerade wegen der Rosen so sehr in Eifer geredet hatte, so

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