Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
daß ich die Flächen meiner Hände aufgeschlagen hielt wie ein Prediger. Da klappte das Bügelbrett, die Stütze des Alters, in die Wand zurück, und die Ahnfrau bewegte sich mit ihrem sieghaft schwingenden Schritt auf mich zu. Welch ein Göttinnengang, dachte ich, wenn man von diesem Schritt die unangenehme Bewußtheit derer abzieht, die alles gehabt hat. Die Ahnfrau bedeutete mir, ich möge meine aufgeschlagenen Hände nicht zurückziehen. Sie unterwarf die Handflächen einer genauen Betrachtung. Von Rechts wegen hätte sie ein Lorgnon zücken müssen oder, um der Elegance willen, sogar ein Monokel einklemmen, eine Brille wage ich gar nicht zu erwähnen. Seit wann aber und wohin waren diese archaischen Plumpheiten verschwunden? Selbst hundertneunzigjährige Augen waren im mentalen Zeitalter so erleuchtet, daß sie keine Hilfe vom Optiker brauchten. Bisher war es mir gelungen, die violette Ehrenschleife zu verbergen. Nicht aus Schamhaftigkeit versteckte ich sie, sondern aus Unlust, die ganze Geschichte immer wieder erzählen zu müssen. Mein Ärmel über der aufgerauhten Hemdmanschette aber war jetzt zurückgerutscht, und die Auszeichnung trat zutage oder, besser, in den bleichen Schein des künstlichen Mondes.
    »Io-Do wird nie in seinem Leben die violette Handgelenkschleife davontragen«, meinte Lala träumerisch.
    »Eine Braut sollte solchen Stimmungen gar nicht nachgeben, verzeihen Sie«, wies ich ihre im gleichgültigsten Ton hingeworfene Bemerkung zurück. Was war mit mir? Immer wieder Leder? Und ich hörte mich weitersprechen:
    »Der Fiancé ist ein aktiver junger Mann voll allseitiger Interessen und ein großer Connaisseur der Waffenkunde und der Geschichte der Armatur. Man muß einer solchen Braut zu einem solchen Bräutigam gratulieren, wie auch umgekehrt.« (Was war mit mir, was war mit mir? Wie es aber so oft geschieht, verwickelte ich mich weiter ins staubtrockene Lob.) »Überdies ist der Bräutigam des Tags die Ursache dieser Auszeichnung, denn nur seiner Energie habe ich es zu verdanken, daß ich das Geodrom betreten, den Preisspruch gesprochen und dem Major Domus Mundi meine Aufwartung gemacht habe …«
    »Da seht nur seine Handflächen«, unterbrach mich die Ahnfrau, die ihr Studium beendet hatte. »Welches Gestrüpp und Labyrinth von Linien, kreuz und quer, groß und klein!«
    »Ist das bei den Herrschaften anders?« fragte ich verwundert.
    Die Ahnfrau, Io-Rasa und Lala öffneten ihre Handflächen und zeigten sie mir. Sie waren wächsern und beinahe unbeschrieben wie bei Schaupuppen. Sie zeigten kaum mehr als die drei Haupteinzeichnungen: eine stark ausgezogene Kopflinie, eine sehr schwache Herzlinie und ganz lange Lebenslinie, die sich bis in den Unterarm fortsetzte. Sonst traten nur die Götterberge an den einzelnen Fingerwurzeln hervor und die Einbuchtungen dazwischen. Die puppenhafte Leere der Handfläche dieser mentalen Menschen, die mir und meinen Zeitgenossen so hoch überlegen waren, berührte mich recht sonderbar. Die Ahnfrau bat mich noch einmal um meine Hand, die ich auch dann der Brautmutter und der Braut zeigen mußte.
    »Sie haben ja Blitze in Ihrer Hand, Seigneur, und Rutenstreiche und Straßen und Tabellen und Anagramme … Was bedeutet das alles?« fragte Lala.
    »Das bedeutet«, nahm B. H. an der Tür jetzt das Wort, »daß er in seiner Lebenszeit viele Schicksale zu überwinden hatte, körperlich, seelisch und geistig. Auf der gegenwärtigen Erde gibt es aber kaum ein Schicksal mehr.«
    »Warum gibt es auf der gegenwärtigen Erde kaum ein Schicksal mehr?« fragte Lala, und die Frage klang äußerst kritisch.
    »Preisen Sie Gott, mein Kind«, entgegnete B. H., der während mancher Wiedergeburt auch sein Teil abbekommen hatte. »Prometheus hat beinahe das Schicksal besiegt.«
    »Ist das wirklich so gut, wenn es wahr ist?« zweifelte die Braut. »Und was ist das überhaupt, Schicksal?«
    »Das was beim Dividieren nicht aufgeht und was zurückbleibt«, brummte B. H. »Wolke, Staub, Sturm, Erkältung, Dschungel und ähnliches …«
    Die Ahnfrau bat, meine Hand anfassen zu dürfen. Ich überließ sie ehrerbietig ihren eisig glatten Fingern, die, so untadelig sie aussahen, sich erschreckend anfühlten.
    »Welche Ströme, welche Wellen, welche Kräfte sind in einer solchen Hand«, schwärmte GR 3 . »Das wogt und pulst und geht in einen über wie die Medizinalstrahlen, die der Arbeiter ins Haus sendet. Und alles kommt von der Reibung mit dem Schicksal, wie Ihr lieber Freund es

Weitere Kostenlose Bücher