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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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nennt. Würden Sie nichts dagegen haben, Seigneur, daß ich täglich ein paar Minuten Ihre Hand halte, solange Sie uns beehren?«
    Ich verbeugte mich stumm. Die reizende Uralte gab mich noch immer nicht frei. Da sah ich etwas in ihren tiefliegenden Augen aufglitzern. Es waren für mich jetzt zweifellos alte Augen in dem sonst jugendglatten Gesicht. Was aber war es, was da aufblitzte? Eine Lüsternheit? Eine Bosheit? Der hexenhafte Wunsch eines alten Weibes, zuerst Verwirrung zu stiften, dann der Verwirrung zuzuschauen, sich zu wärmen an ihr, sich zu rächen, weil der Tag doch, trotz aller mentalen Kosmetik, für immer und ewig zu Ende ist, und nichts mehr bevorsteht als jener »freiwillige Gang zu Fuß«? Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich kann nur wiederholen, daß etwas in der Ahnfrau tiefliegenden Augen aufglitzerte, was am ehesten einer bösartigen Lüsternheit glich.
    Ihre eisig schlüpfrigen Finger zogen mich näher ans Brautlager.
    »Die Urströme aus den Anfängen der Menschheit sind noch in Ihrer Hand, Seigneur«, schwärmte sie. »Schenken Sie uns etwas davon. Lassen Sie uns ein bißchen davon kosten, dann kommt mehr Spaß ins Leben. Legen Sie zum Beispiel der lieben Kleinen da Ihre Hand aufs Herz für ein paar Minuten. Dann wird sie kräftiger und glücklicher werden durch Ihren Segen …«
    »Ich bin bereit, jedem Befehl zu gehorchen«, sagte ich unsicher und fühlte, daß ich erblaßte. »Doch werde ich nur das tun, was Fräulein Braut selbst wünscht.«
    Die lächelnde GR 3 entblößte mit gezierter Langsamkeit Lalas Brust mit einer Hand, während ihre andre mich noch immer festhielt. Das Mädchen sah mich unbewegt an und sagte ruhig:
    »Ich weiß nicht, ob Ihre Urströme aus den Anfängen der Menschheit gut oder schlecht für mich sind, Seigneur.«
    »Ich werde tun, was Sie wünschen«, wiederholte ich noch einmal und fühlte, wie meine alte Charakterschwäche mich beherrschte, die heute allen Entscheidungen und Verantwortungen ebenso aus dem Wege zu gehen trachtete wie damals in den Anfängen der Menschheit. Eine innere Stimme aber warnte mich immer lauter davor, dem Augenglitzern der Alten gehorsam zu sein.
    »Der Segen und die Berührung Seigneurs wird sicher einen guten Einfluß haben«, zögerte die Brautmutter diplomatisch. »Soweit kennen wir Sie schon … Sollte man aber nicht zuerst den Vater ins Vertrauen ziehn?«
    »Den Vater … Den Vater …«, höhnte die Ahnfrau und war ganz zornig. »Was weiß ein Vater, ein Mann mit noch goldenem Haar, von solchen Frauendingen?«
    »Legen Sie mir Ihre Hand aufs Herz, Seigneur«, sagte Lala mit souveräner Gleichgültigkeit. Die Ahnfrau aber zog meine Hand mit leichtem, jedoch unnachgiebigem Druck langsam herab, wie gegen einen Widerstand, den ich nicht leistete, und legte sie vorsichtig, ja fast zärtlich zwischen die nackten, festen Brüstlein der Braut. Die duftende und doch irgendwie schon entfleischte Hand beeilte sich noch immer nicht, die meine loszulassen. Sie schien den Kontakt mit mir, dem Hunderttausendjährigen, und der kaum erblühten Jugend Lalas vibrierend zu genießen wie eine verbotene Sensation.
    »Die Herzberührung war eine alte sakrale Sitte islamitischer Derwischorden«, sagte ich in idiotisch belehrendem Ton, wie zur Entschuldigung, Abschwächung und Rechtfertigung, während ich die unendlich zarte und kühle, die mentale Haut des Mädchens unter meiner rauhen Pratze fühlte, gleich einem lieblichen Vorwurf. War’s aber wirklich ein Vorwurf? War’s nicht etwas anderes? Ich fühlte – nicht glaube ich zu irren oder im Rückblick die Wahrheit zu fälschen – ich fühlte, wie der unendlich zarte und kühle, der astromentale Leib des Mädchens sich in meine harte, von hundert Schicksalsrunen verwundete Handfläche hereinbog, hereinatmete, hereinschmiegte. Im selben Augenblick aber runzelte Lala ihre klare Stirn und rief ärgerlich:
    »Nehmen Sie Ihre lästige Hand fort. Sie ist so schwer und heiß.«
    Ich zog mich sofort zurück, aufrichtig gekränkt, denn soeben hatte ich mir eine Art von Segenspruch zurechtgelegt gehabt. Ich führte meine schwere und heiße Hand an die Stirn:
    »Es ist ja gar nicht wahr, daß meine Hand so heiß ist, liebe Braut«, rief ich. »Sie sind sehr ungerecht, denn ich fiebere längst nicht mehr …«
    Irgendwo unten begann Sur, der Hund, überstürzt zu winseln und zu keifen. Ich verstand keines seiner klatschbasenhaften Worte.

Neuntes Kapitel
    Worin ich trotz meiner Müdigkeit alles

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