Sternchenhimmel
Ausdruck aller Vorgänge aus jüngster Zeit auf dem Konto eines gewissen Claude Abbott. Den Namen und die Kreditkartennummer hatte Jim Tile von Skink nach dessen produktiver Plauderei mit dem Tagdienst-Manager im Comfort Inn bekommen.
»Dein Freund hat sechsundzwanzig Dollar noch was in irgendeiner Erwachsenenboutique ausgegeben«, las Jim Tile aus seinen Notizen vor.
Der Gouverneur rülpste.
»Dann sind da noch zweiundvierzig Dollar in einem Laden namens Oldies But Goldies. Für Kleidung, steht da. Und als Nächstes eine Kartenzahlung im Marriott.«
»Hier am Strand?«, fragte Skink.
»Washington Avenue 1530. Sieht nach einer Zimmerkaution aus.«
»Wann?«
»Heute. Die Buchungen sind alle von heute.«
»Gut gemacht, alter Freund. Wir reden später weiter.«
»Nicht auflegen. Sag mir, was los ist«, drängte Jim Tile. »Es geht um diese junge Frau, oder?«
»Ich muss sie wiedersehen. Sie hat mein Menschheitsbild bereichert.«
Jim Tile wies darauf hin, dass Ann DeLusia jung genug wäre, um seine Tochter zu sein. »Oder sogar deine Enkelin«, setzte er scherzhaft hinzu.
»Du schmutziger alter Bock«, sagte Skink. »Glaubst du etwa nicht an ein platonisches Entzücken?«
»Ehrlich gesagt schon.« Jim Tile hatte seinen Freund bereits früher so gesehen, nachdem ihn eine unverhoffte Begegnung mit dem berührte hatte, was er »eine reine, wahrhaftige Seele« nannte. Die Frau musste ihm viel bedeuten, sonst wäre er nicht so weit gefahren, um sie zu finden; fast nichts konnte ihn dazu bewegen, sein Lager in den Keys zu verlassen, nicht einmal ein Hurrikan.
»Gouverneur, wo ist die Schrotflinte?«, fragte Jim Tile.
»Ganz ruhig, Opa. Ich hab sie versteckt.«
Da er im Ruhestand war, konnte Jim Tile Clinton Tyree nur begrenzt Hilfestellung leisten, wenn dieser verhaftet wurde, weil er in der Stadt herumgeballert hatte. Der Mann war für ein so lautes und groteskes Umfeld wie South Beach psychologisch ungeeignet, er konnte jeden Moment durchdrehen.
»Bitte fahr nach Hause«, drängte Jim Tile.
»Sobald Annie in Sicherheit ist. Ich fürchte, sie steckt in der Klemme.«
»Aber niemand hat sie als vermisst gemeldet. Ich hab bei den South Beach Cops nachgefragt.«
»Sie hat mich angerufen und um Hilfe gebeten«, sagte Skink. »Glaubst du vielleicht, das habe ich geträumt?«
»Wäre nicht das erste Mal.«
»Jim, du wirst auf deine alten Tage ganz schön aufmüpfig. Nur zu deiner Information, ihr Handy habe ich aus einer Toilette im Comfort Inn gefischt.«
»Oh.«
»Entschuldigung angenommen. Ich melde mich.«
Skink brach das Gespräch ab und wandte seine Aufmerksamkeit zwei Männern mit unlauteren Absichten zu, die eine betrunkene junge Frau zum Strand hinuntergelotst hatten. Jetzt protestierte sie und versuchte, sich loszureißen, doch die Männer, durch die Dunkelheit und die Abgeschiedenheit dieses Strandabschnitts mutig geworden, drückten sie rücklings in den Sand. Sie wussten nicht, dass jemand unter dem Bademeisterturm hockte und sie beobachtete, und sie sahen ihn auch nicht kommen. Später würde einer der beteiligten Sanitäter bemerken, dass er noch nie so viele komplizierte Knochenbrüche pro Opfer gesehen hätte – einen an jeder Gliedmaße.
Während der Suche nach dem Busentführer hatte ein Helikopter tief in einem Hartholzwald nahe der Grenze des Krokodil-Schutzgebietes etwas entdeckt, das wie ein verlassenes Fahrzeug aussah. Suchtrupps, die per Funk zu der Stelle geschickt wurden, waren verblüfft, die Karosserie eines verbeulten Rennwagens zu erblicken, Nummer 77, noch immer von oben bis unten mit Werbeaufklebern von Purolator, Firestone, Autolite, Delco und Kellogg’s Rice Krispies bepflastert. Das rostige NASCAR -Relikt stand neben einer aschegefüllten Feuerstelle am Rand eines kärglichen Lagerplatzes, auf dem die Suchmannschaft außerdem zwei Decken, mehrere Wasserflaschen, eine Blechkaffeekanne, drei frische Waschbärenpelze, eine Sammlung polierter Bussardschädel, einen Ghettoblaster aus den Achtzigern und einen verzogenen Überseekoffer voller Bücher fand, hauptsächlich gebundene Romanausgaben.
Detective Reilly war an diesem Nachmittag zu dem Lager hinausmarschiert. Es sah aus, als könne ein durchgeknallter obdachloser Bandit sich dort wohl fühlen, wenn ihm Skorpione, Schlangen und Giftholzgestrüpp nichts ausmachten. Die persönlichen Habseligkeiten, die in dem Lager gebunkert waren, gaben keinerlei Hinweise auf die Identität ihres Besitzers, wohl aber auf dessen
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