Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
Anwesenheit stören.
Er stand noch immer auf dem Platz vor dem Bahnhof und überlegte, ob er sich nicht zuerst ein kleines Zimmer in einer billigen Pension suchen sollte. Doch dann verwarf er diesen Gedanken wieder. Am Ende würde ihm noch der Mut abhandenkommen. Er hatte so lange gewartet, jetzt zählte plötzlich jede Minute.
Er trat auf einen Kutscher zu und fragte ihn, ob er das Handelshaus Groth, Jessen und Krischak kannte.
Der Mann nickte. Dann erklärte er Fela den kurzen Weg, der nur durch zwei schmale Gassen führte, über einen mit Palmen bestandenen Platz und schließlich bis zu einer Kirche, die dem Haus des Handelsherrn gegenüberstand. Lange verharrte er vor der Kirche und blickte auf das buntgeschmückte Haus gegenüber. Ein Hausbote entzündete gerade die Gaslaternen neben der Eingangstür. Er hielt kurz inne, rieb sich frohgemut die Hände, dann ging er zurück in das Innere, und Fela fühlte sich wie ein Eindringling, obwohl er noch keine Anstalten gemacht hatte, zu klopfen. Er stand nur da und schaute und bemerkte nicht einmal, dass er allmählich die Aufmerksamkeit der anderen Leute auf sich zog. Ein weißes Paar ging vorüber. Die dicke Frau, an deren Fingern zahlreiche Ringe protzten, starrte ihm ungeniert ins Gesicht und verzog angewidert den schmalen Mund. »Siehst du den schwarzen Halunken, Bodo?«, fragte sie ihren Mann mit vor Aufregung quiekender Stimme. »Ich bin sicher, er führt Übles im Schilde. Sieh nur, wie er auf das Haus des Kaufmanns glotzt. Bestimmt plant er einen Überfall.«
Der weiße Mann blieb stehen, sah sich nach Fela um, doch der bemerkte noch immer nichts davon, sondern blickte sehnsüchtig auf das geschmückte Haus und fragte sich wohl zum hundertsten Male, ob es recht wäre, den Weihnachtsfrieden dort mit seinem Anliegen zu stören.
»Warte hier«, befahl der weiße Mann seiner dicken Gattin. »Ich hole einen Polizisten.«
»Aber du kannst mich doch nicht einfach hier mit diesem Verbrecher stehen lassen …«, greinte das dicke Weib, doch ihr Ehegatte war schon um die nächste Ecke verschwunden.
Jetzt fuhr eine Kutsche vor das Handelshaus. Sie hielt direkt vor dem Eingang, der Kutscher sprang ab, öffnete den Schlag, und Fela sah nur, dass einige Personen ausstiegen. Doch bevor er sie erkennen konnte, waren sie schon im Haus verschwunden, die Kutsche rollte gemächlich davon. Er seufzte. Sollte er es jetzt wagen? Wenn, dann musste er sich sputen, bevor die Familie beim Festmahl saß. Vielleicht konnte der Kaufmann Groth einen Augenblick Zeit für ihn aufbringen, während seine Gäste sich auszogen und ihre Getränkewünsche äußerten. Er atmete noch einmal tief durch, spannte seinen Körper und wollte gerade den ersten Schritt auf die Straße setzen, als hinter ihm plötzlich ein Ruf ertönte: »Halt! Stehen bleiben!« Fela wollte den Ruf ignorieren, doch schon wurde er an beiden Schultern gepackt, wurden ihm die Füße weggetreten, so dass er hart auf dem Boden aufschlug. Ein Polizist kniete auf seinem Rücken, bog ihm die Arme nach hinten, so dass Fela schmerzerfüllt aufschrie.
»Was suchst du hier, du Strolch? Was hast du Übles vor?«
Fela wusste nicht, wie ihm geschah. Er stammelte: »Ich wollte dem Kaufmann Groth einen Besuch abstatten.«
Der Polizist lachte schallend auf und wandte sich an das biedere Paar, das neugierig danebenstand und selbstgerecht auf Fela herabschaute. »Haben Sie das gehört? Er wollte dem Kaufmann einen Besuch abstatten. Er reist in Geschäften, der feine Herr. Los, hoch jetzt, du kommst mit. Kannst einer Gefängniszelle deinen Besuch abstatten. Das fehlte noch, dass gute und anständige Bürger an Weihnachten belästigt werden!«
Der Polizist stieg von seinem Rücken und zerrte ihn nach oben. Dann fesselte er Felas Hände mit einem Strick und stieß ihn vor sich her.
Fela war wie erstarrt. Er sagte kein Wort, wusste keine Entschuldigung hervorzubringen. Alles in ihm war plötzlich so schwarz und leer. Eine grenzenlose Trostlosigkeit befiel ihn, schlimmer noch als damals im Wald. Er bekam einen kräftigen Stoß in den Rücken, taumelte ein paar Schritte, ehe er sich wieder gefangen hatte.
Alles war verloren. Alles war vorbei. Die Polizei würde nicht lange brauchen, bis sie herausgefunden hatte, was vor Jahren auf dem Ingenio geschehen war. Sie würden Hermann Fischer ausfindig machen, und der würde sich vor Freude kaum halten können, dass er Fela nun endlich los war. So kurz vor dem Ziel war er gewesen. So kurz nur.
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