Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
sie.
»Dann freue ich mich sehr darauf, den kleinen Aurelio endlich kennenzulernen«, erklärte Joachim Groth und fuhr fort: »Gehe ich recht in der Annahme, dass auch die Kreolin Grazia zu Ihrem Haushalt zählt?«
Titine nickte abermals nur.
»So würden meine Frau und ich mich glücklich schätzen, auch sie auf unserem kleinen Fest begrüßen zu dürfen.«
Einunddreißigstes Kapitel
F ela fühlte sich ein wenig unwohl in dem feinen Anzug aus hellem Leinen, den er von Andreas Winkler geborgt hatte. Die Weste saß ihm etwas zu schlotternd, der gestärkte Kragen des Hemdes kratzte ihn am Hals. Er fuhr mit dem Zug nach Havanna und sah die ganze Zeit über aus dem Fenster, doch er nahm weder die Landschaft noch die Mitreisenden wahr.
Stattdessen quälten ihn mit einem Mal die schrecklichsten Ängste. Was wäre, wenn Titine gar nicht mehr mit ihm leben wollte? Sie war eine so schöne Frau. Es konnte gut möglich sein, dass sie einen anderen Mann kennengelernt hatte. Er zumindest hatte sich nicht gerade zu seinem Vorteil entwickelt. Die Narbe, die er gleich Hermann im Gesicht trug, verunstaltete ihn. Er selbst fand sich so abstoßend, dass er es nur schwer ertrug, sich in einem Spiegel zu betrachten. Im Wald war dieser Makel kein Hindernis gewesen. Doch nun, da er sich wieder unter Menschen bewegte, bemerkte er die vielen Blicke und die vor Widerwillen verzogenen Mienen der anderen Leute.
Doch selbst wenn Titine ihn noch liebte, würde sie dann mit ihm nach Trinidad gehen wollen? Oder gefiel ihr das Leben in der Stadt so gut, dass sie sich nicht mehr vorstellen konnte, auf dem Land zu leben?
Und Hermann. Was würde er sagen, wenn er erfuhr, dass er versuchte, den Ingenio wieder auf die Beine zu bringen? Fela hatte eigenmächtig gehandelt, das wusste er. Doch solange niemand Rechenschaft für sein Tun gefordert hatte, fühlte er sich auf dem rechten Weg. Jetzt sah die Sache anders aus, denn immerhin bewohnte er ein Haus, das ihm nicht gehörte, und bepflanzte Felder, deren Eigentümer er nicht war.
Aber was hätte er sonst tun sollen? Er musste doch für Titine und das Kind ein Heim schaffen, ehe er sich überhaupt zu ihr wagen durfte. Würde ihm Hermann das verzeihen? Würde er einverstanden sein, dass Fela seinen Ingenio bewirtschaftete? Oder war die Anzeige eine Falle, um Fela nun doch noch an die Polizei auszuliefern? So viele Fragen, so wenige Antworten. Eines aber wusste Fela ganz genau. Er würde erst zu Joachim Groth gehen und in Erfahrung bringen, ob ihm von Hermann Unheil drohte. Es konnte, es durfte nicht sein, dass er so kurz davor war, seine geliebte Frau und sein Kind zu sehen, um dann doch noch im letzten Augenblick wie ein Schwerverbrecher verhaftet zu werden.
Trotz aller Befürchtungen und aller Ängste brannten in seinem Herzen eine stille Vorfreude und eine große Hoffnung. Er würde Titine wiedersehen, das fühlte er. Zumindest aber würde er Havanna nicht eher verlassen, als bis er sie und sein Kind gefunden hatte.
Es dämmerte bereits, als der Zug den Bahnhof von Havanna erreichte. Fela stieg aus, nur einen kleinen Pappkoffer mit ein wenig Wäsche in der Hand. Noch nie hatte er so viele Menschen auf einem Haufen gesehen. Der Bahnsteig war schwarz davon. Überall lagen sich die Leute in den Armen, dazwischen boten Gepäckträger lauthals ihre Dienste an. Er schritt langsam den Bahnsteig entlang, wusste nicht, in welche Richtung er sich wenden sollte. Schließlich hatte er sich aus dem Gebäude gekämpft und hielt Ausschau nach einem Kutscher. Er würde diesen nur nach dem Weg fragen, mehr nicht, denn das Geld, das ihm der Arzt vorgestreckt hatte, musste ja noch für eine Unterkunft und ein wenig Verpflegung reichen.
Fela bemerkte, dass die meisten Menschen um ihn herum in festliche Kleider gehüllt waren. Alle Kirchen hatten ihre Türen geöffnet, Weihrauchduft wehte durch die Straßen. Sollte er jetzt noch zu Joachim Groth gehen? Andreas Winkler hatte ihm erzählt, dass Weihnachten das christliche Fest der Familie und der Liebe war. Durfte er bei so etwas stören? Andererseits konnte er sicher sein, dass Groth an diesem Abend bestimmt zu Hause war. Er würde nicht lange bleiben. Er würde sich nicht einmal ins Haus bitten lassen. Groth sollte ihm nur sagen, ob Hermanns Anzeige ein Vorwand war, um ihn zu suchen und einsperren zu lassen. Er wollte nur einen einzigen Satz von dem Kaufmann hören. Dann würde er sogleich wieder verschwinden und das Fest der Familie nicht länger mit seiner
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