Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
rannte. An diesem und den folgenden Abenden entwarf sie einen Brief an Majid, in dem sie ihm ihr Herz ausschüttete, ihm in Erinnerung rief, wie eng die Bande zwischen ihnen einst gewesen und dass sie nie aus bösem Willen heraus gegen ihn oder gegen die Sitten und Bräuche ihres Landes gehandelt habe, und in dem sie ihn schließlich flehentlich bat, sie in Begleitung ihrer drei Kinder zurückkehren zu lassen. Und so schwer es ihr auch fiel: Sie bat ihn auch um etwas Geld.
Womöglich erreichte dieser Brief Majid sogar noch rechtzeitig; beantworten konnte er ihn jedoch nicht mehr. Sein Leib, von mehr als dreißig Jahren des Leidens an der Fallsucht zerrüttet und ausgelaugt, versagte ihm am 7. Oktober den Dienst. Nur zwei Monate nach dem Tod seines ihm so verhassten deutschen Schwagers starb auch Emilys Lieblingsbruder.
Barghash, der sich solange hatte gedulden müssen, bekamvon der Vorsehung endlich das, was ihm seiner Meinung nach von Anfang an, seit dem Tod ihres Vaters, gebührt hatte: Er wurde der neue Sultan von Sansibar.
Es war Zeit, offene Rechnungen aus alten Tagen zu begleichen.
Auch die mit Sayyida Salima, die sich nun Emily Ruete nannte, der Schwester, die einst nicht nur ihn, sondern auch ihren Glauben verraten hatte.
51
Es war ein grauer Herbst in diesem Jahr für Emily, dem ein grausamer kalter Winter folgte.
Einsam war sie, denn der Graben zwischen ihr und den Ruetes wurde immer tiefer. Nur zu Geburtstagen und den Festtagen sahen sie sich noch; ein einsilbiges Beisammensein bei Kaffee und Kuchen, an dem Hermann und Johanna sich ganz ihren Enkeln widmeten, während Emily stumm am Rande saß. Aus gesundheitlichen Gründen hatte Hermann das Amt als ihr Vormund niedergelegt, und sein Sohn Johann, der sich aufgrund seiner jungen Jahre dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlte, tat es ihm gleich. Dr. Gernhardt wurde zu deren Nachfolger bestellt, in seiner Eigenschaft als Freund der Familie, einer der wenigen, die Emily geblieben waren.
Die Einladungen, die zu Heinrichs Lebzeiten so zahlreich ins Haus geflattert waren, wurden weniger, blieben schließlich ganz aus. Der Zauber der aufsehenerregenden Exotin, der fremdländischen Prinzessin war verflogen. Emily Ruete war nur mehr eine ganz gewöhnliche Witwe mit drei kleinen Kindern, die um ihr Überleben kämpfte. Wie so viele andere Witwen auch in dieser großen Stadt.
Emily hätte es sich auch gar nicht leisten können, Gegeneinladungen auszusprechen. Unzählige Stunden vergingen mit der Wohnungssuche und damit, ihre Ausgabendurchzurechnen und mit dem abzugleichen, was sie an Geld besaß. Dr. Gernhardt hatte die Vormundschaft zwar bereitwillig übernommen, überließ Emilys finanzielle Angelegenheiten aber dem zweiten Vormund, einem Anwalt namens Krämer, weil er als Arzt in diesen Dingen nicht bewandert war. Dieser schien sich zwar sorgfältig um die Wertpapiere zu kümmern, ließ Emily jedoch darüber im Unklaren, wie viel Geld ihr daraus denn tatsächlich zur Verfügung stand.
Farbe in diesen knochenbleichen Winter brachte die Ankunft eines Handelsschiffes aus Sansibar, dessen Matrosen die Straßen Hamburgs so lange nach Bibi Salmé absuchten, bis sie sich eines frostigen Tages vor ihrer Haustür einfanden. An diesem Abend verwandelte sich das hanseatische Haus an der Schönen Aussicht in ein sansibarisches, wo man im Schneidersitz auf dem Boden saß, aß und trank und lachte und auf Suaheli von den alten Zeiten erzählte.
In der Zeit, in der die Ilmedjidi im Hafen vor Anker lag, bis die Ladung gelöscht war und neue Waren geladen waren, bekam Emily fast täglich Besuch aus ihrer alten Heimat, der ihr das Herz wärmte und ihr die Seele nährte.
»Bibi Salmé, wie kannst du nur in einem so kalten, unfreundlichen Land leben?«
»Bibi, komm doch zurück nach Sansibar; alle Leute fragen dort nach dir!«
Worte, die ihr Balsam waren und Folter zugleich.
» Si sasa, si sasa – noch nicht, noch nicht«, lautete ein ums andere Mal ihre Antwort.
»Aber wann denn, Bibi, wann?«
»Wenn meine Kinder etwas größer sind«, wich sie dann immer aus.
Es war der Blick auf Tony, auf Said und Rosa, die ganz berauscht waren von der Fröhlichkeit und von der überschwänglichen Herzlichkeit, mit der die Matrosen aus demfremden Land das Haus erfüllten, der Emilys Herzenswunsch, nach Sansibar zurückzukehren, ins Wanken brachte. Konnte sie ihren Kindern zumuten, dort aufzuwachsen? Wäre es nicht vielmehr Heinrichs Wunsch gewesen, sie als Christen in Deutschland
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