Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
Emily, zu zwei Dritteln an die Kinder. Allerdings oblag es nicht Emily als seiner Witwe, darüber zu verfügen. Laut den Gesetzen der Stadt Hamburg wurde eine Witwe unter Vormundschaft gestellt; größere Ausgaben, die Verträge, die sie künftig für sich oder ihre Kinder abzuschließen gedachte, bedurften der Zustimmung dieser beiden sogenannten »Assistenten«. Der eine saß ihr im Salon just in Gestalt ihres Schwiegervaters gegenüber; der andere war ursprünglich kein Geringerer gewesen als der Mann, der sie und ihre Kinder um so viel Geld gebracht hatte: Herr Rehhoff. Emily war wutschnaubend beim Senat der Stadt vorstellig geworden, hatte ihre Beschwerde mit Dokumenten zu Rehhoffs Veruntreuungen untermauert, und schließlich war Johann Ruete, mit bald dreiundzwanzig schon längst mündig, zum zweiten Vormund bestimmt worden.
»Ich kann mit Geld umgehen, lieber Hermann«, versuchte Emily ihren Schwiegervater zu beschwichtigen und erklärte nicht ohne Stolz: »Auf Sansibar habe ich drei große Plantagen selbständig geführt, die Erträge gesteigert und die Ausgaben gesenkt.«
»Das mag wohl sein.« Hermann Ruete sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Aber wir sind hier in Hamburg und nicht in Afrika. Und hier«, er beugte sich leicht vor und tippte energisch mit dem Finger auf den Tisch, »hier geht es anders zu! Unsere Verhältnisse sind ungleich komplizierter als bei dir zu Hause. Hier pflegt man kein orientalisches Lotterleben! Hier muss man auf dem Quivive sein!«
Es war das erste Mal, dass Hermann Ruete auf ihre Herkunft und auf die Verhältnisse in ihrer Heimat anspielte. Und die Art, wie er das tat, herablassend, fast schon gehässig, traf Emily tief. Davon, dass Hermann Ruete sich einmal geäußerthatte, Emily sei wider Erwarten eine tüchtige Hausfrau geworden und ihm eine so liebenswürdige Schwiegertochter, wie er sie sich nur wünschen konnte, war nichts mehr zu spüren.
Eine Kränkung, die sie sich nicht anmerken lassen wollte. Sie schob ihr Kinn mit dem leichten Grübchen ein Stückchen vor.
»Heinrich war mehr als zufrieden damit, wie ich das Haushaltsgeld verwaltet und das entsprechende Buch dazu geführt habe.«
»Da hat er auch noch gelebt und für ein regelmäßiges Einkommen gesorgt«, widersprach Hermann Ruete knurrend und ließ sich in seinen Sessel zurückfallen. »Die Zeiten sind ja nun vorbei, nech?«
»Zur Not kannst du ja auch noch deinen Schmuck verkaufen«, warf Johanna ein. »Heinrich – Gott hab ihn selig – hat einmal erzählt, dass ihr damals viel davon nach Europa retten konntet. Er ist doch bestimmt eine Menge wert!«
Fassungslos sah Emily die Stiefmutter ihres verstorbenen Mannes an. Als sie in deren blauen Augen keinerlei Arglist oder Neid entdecken konnte, begriff sie, dass Johanna einfach nur eine nach hamburgischen Maßstäben praktisch denkende Frau war, die nicht wissen konnte, was all das Geschmeide für Emily bedeutete. Eine Prinzessin von Sansibar war nichts ohne ihren Schmuck, der Zeichen ihres Standes und ihrer Herkunft war. »Willst du eine Prinzessin sein oder ein Bettelmädchen? Hast du keinen Stolz?«, hatte ihr Vater sie einmal vor bald zwanzig Jahren gescholten; eine Lektion, die Emily nie vergessen hatte. Emily schwieg und führte ihre Tasse wieder zum Mund, nahm gedankenvoll noch einen Schluck.
Was verbindet mich bloß mit diesen Leuten, an deren Tisch ich gerade sitze?
Nichts. Außer dass Hermanns Sohn mir das größte Glück auf Erden war. Und sein Blut in den Adern meiner Kinder fließt.
Emily atmete auf, als sie endlich das Haus der Ruetes verließ und auf der Straße stand. Sie schlüpfte in ihre Handschuhe, die schwarz waren wie ihr Trauerkleid, und wanderte ziellos und in ihre Gedanken versunken durch die Neustadt.
Ihr Blick fiel auf den Kirchturm von Sankt Michaelis mit seinem roten Backsteinsockel und dem Aufbau, der grau und grün verwittert war. Es hieß, für die Seeleute der Stadt sei der Michel ein Sinnbild für ihre Heimat, weil er angeblich das Letzte war, was man auf dem Deck eines auslaufenden Schiffes von Hamburg sah, und das Erste, was einem bei der Heimkehr ins Auge fiel.
Das Heimweh nach Sansibar plagte Emily seit Heinrichs Tod umso heftiger. Als könnte nur Sansibar die Lücke ausfüllen, die der Verlust ihres Mannes in ihr gerissen hatte.
Ich muss nach Hause, dachte Emily. Ich muss zurück. Zurück nach Sansibar. Hier gehöre ich nicht hin. Nicht ohne Heinrich.
Sie beschleunigte ihre Schritte, bis sie beinahe
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